Wie man (richtig) Geld verdient - Teil 1
15.02.2022
Was ist Geld?
Im vergangenen Monat stieg der auch als “Inflationsrate” bekannte US-Verbraucherpreisindex auf ein 40-Jahres-Rekordhoch von 7,5% (z. B. EU 5,1%, CH 1,6%). Solch drastische Preissteigerungen beunruhigen Anleger und Märkte und generell alle, die Geld sparen wollen oder Produkte und Dienstleistungen kaufen müssen.
Aber wer und was verursacht Inflation und warum gibt es sie? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst die folgenden Punkte definieren: Welchen Zwecken dient Geld, was sind die Merkmale guten Geldes, und wie funktioniert unser derzeitiges Geldsystem? Bitte beachten Sie auch den Hinweis am Textende. (*)
Ein Vermögenswert muss drei ökonomische Funktionen erfüllen um als Geld verwendbar zu sein: Erstens muss er von Verkäufern und Käufern als Tauschmittel akzeptiert werden. Zweitens: Da Lieferung und Bezahlung eines Kaufs nicht immer gleichzeitig erfolgen können, muss der “Geldwert” seinen Wert über einen längeren Zeitraum beibehalten können. Je länger er als Wertaufbewahrungsmittel fungieren kann, desto besser. Schliesslich muss der “Geldwert” so weit verbreitet und akzeptiert sein, dass die Menschen ihn als Rechnungseinheit für die Angabe von Preisen verwenden (werden).
Abbildung 1: Ökonomische Funktionen, physikalische Eigenschaften und rechtliche Arten von Geld
Auf der Suche nach dem am besten geeigneten Geldwert haben sich vier physische Eigenschaften – Fungibilität, Übertragbarkeit, Langlebigkeit und Teilbarkeit – über Jahrtausende hinweg durchgesetzt. Trotz des allgegenwärtigen digitalen Zahlungsverkehrs, kennt und schätzt jedermann (noch) Gold als Wertanlage. Es wurde von den Menschen über lange Zeiträume hinweg als Wertaufbewahrungsmittel, Tauschmittel und Rechnungseinheit verwendet. Warum Gold? Man kann das Periodensystem der Elemente heranziehen, um zu argumentieren, dass Gold das beste Material für Geld ist.
Menschlich wie wir alle sind, haben die Münzherausgeber jedoch herausgefunden, dass sie an wertvollem Gold sparen können, indem sie die Münzen auf für den Menschen nicht leicht erkennbare Weise manipulieren. Sie sparten beispielsweise an Gold oder Silber, indem sie es mit weniger wertvollem Kupfer oder Nickel mischten und so von einem niedrigeren Metallwert profitierten, während der Nennwert der ausgegebenen Münze gleichblieb. Oder sie schnitten einfach Teile des Metalls ab und machten die Münze buchstäblich kleiner (“Clipping”). Auf diese Weise lässt sich die verfügbare Goldmenge weiter strecken und mehr Geld damit schaffen. Dadurch verwässert und verliert das Gold mit der Zeit an Wert, was uns zum Schlüsselbegriff der Fiat-Welt bringt: Inflation. Hazlitt definiert Inflation als die Zunahme des Angebots an Geld und Krediten. Wir kehren später zu dieser Logik zurück.
Während die Menschen die meiste Zeit der Geschichte Dinge mit einem wahrgenommenen inneren Wert als Geld verwendeten, wie z. B. Gold, gab es in den letzten paar Jahrhunderten eine Entwicklung weg von diesem “Warengeld”. Wie ist das passiert?
Im Venedig und Florenz des 13. Jahrhunderts begannen Goldschmiede damit, Goldmünzen der Menschen gegen eine geringe Gebühr in ihren gesicherten Werkstätten aufzubewahren. Die Menschen erkannten, dass die Papierquittungen, die sie im Gegenzug für ihre Münzen erhielten, viel bequemer zu tragen und zu benutzen waren als Taschen mit Münzen. Mit anderen Worten: Papier begann, Gold zu repräsentieren und wurde so zu Geld. Das so genannte “repräsentative Geld”, welches keinen intrinsischen Wert hat, aber mit Edelmetall unterlegt ist, markiert den Ursprung des Papiergeldes und der Bankpraxis. In dem populären Buch “The Bitcoin Standard” argumentiert Ammous, dass in Zeiten, in denen diese Unterlegung eingehalten wurde und das Wirtschaftsleben auf einem Gold- (oder Silber-) Standard ablief, in der Regel wirtschaftlicher Wohlstand herrschte (z. B. im Byzantinischen Reich oder in der Belle Époque).
Das repräsentative Geld veranlasste die Menschen ihre Goldmünzen nach und nach nicht mehr einzulösen, da das “Papiergeld” einfach bequemer war. Als die Goldschmiede jedoch anfingen, mehr Papierscheine auszugeben als sie Gold vorrätig hatten, kam es zu Inflation und Problemen. In den letzten 300 Jahren ging diese Praxis ganz gut, sofern die Menschen ihr Gold nicht alle auf einmal zurückhaben wollten. Dennoch haben wir eine lange Geschichte von so genannten Bank-Runs.
Weltkriege, Bretton Woods und Nixon-Schock
Repräsentatives Geld florierte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als rund 50 Länder den Goldstandard bewahrten. Das änderte sich jedoch, als die Nationen in den Ersten Weltkrieg eintraten, die Goldkonvertibilität aufhoben und anfingen ein massives Wettrüsten zu finanzieren mit Geld, welches nicht mehr durch Gold gedeckt war. Ammous argumentiert, dass der 1. Weltkrieg ohne diese Möglichkeit in Umfang und Dauer geringer ausgefallen wäre.
Nach dem Ersten Weltkrieg war es für die Regierungen schwierig zum Goldstandard zurückzukehren, da sie zugeben hätten müssen, dass sie die Währung abgewertet hatten (im Falle Deutschlands um die Hälfte). Deutschland nutzte die Inflation zur Zahlung der Versailler Reparationen und löste 1922/1923 eine Hyperinflation aus, die den Weg für das Nazi-Regime und den Zweiten Weltkrieg ebnete. Die USA handelten ähnlich und lösten damit den berüchtigten Börsencrash vom Oktober 1929 und die Grosse Depression aus, die erst mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg im Jahr 1941 beendet wurde.
Nach den beiden Kriegen war das internationale System, das auf dem Goldstandard basierte, nicht mehr funktionsfähig. Es war John Maynard Keynes, der die Argumente zur Legitimierung weiterer staatlicher Eingriffe lieferte. Keynes plädierte für fortgesetzte Staatsausgaben zur Beeinflussung der Wirtschaftstätigkeit und für eine Steuer- und Geldpolitik zur Abmilderung der negativen Auswirkungen von Rezessionen. Keynes’ Ideen wurden sehr einflussreich und führten zu einer Reihe von Verordnungen und internationalen Vereinbarungen mit enormen Folgen:
– Das Bretton-Woods-System begründete die Währungsordnung der Nachkriegszeit, in der der US-Dollar zur globalen Reservewährung wurde und alle Währungen in US-Dollar konvertierbar waren, aber nur der US-Dollar in Gold konvertiert werden konnte.
– Der Internationale Währungsfonds wurde gegründet, um die globale Gruppe der Zentralbanken und die Wechselkursstabilität zu koordinieren.
– Die Weltbank (damals Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) wurde gegründet, um finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau nach dem Krieg zu leisten.
Das neue internationale Wirtschaftssystem konzentrierte einen Grossteil des weltweiten Goldes auf amerikanischem Boden (an einem Ort, der fälschlicherweise “Fort Knox” genannt wurde) und verschaffte den USA ein “exorbitantes Privileg” (Charles de Gaulle), indem es den US-Dollar zur globalen Reservewährung machte. Insgesamt erlangten die Vereinigten Staaten durch diese Vereinbarung eine einzigartige geopolitische Macht.
Die heimische Währung gleichzeitig als internationale Reservewährung zu verwenden ist problematisch, da es zu wirtschaftlichen Interessenkonflikten zwischen kurzfristigen nationalen und langfristigen internationalen Zielen kommen kann (“Triffin-Dilemma“). 1971 sah sich US-Präsident Nixon mit dem Problem konfrontiert, dass das Gold in Fort Knox nicht ausreichte, um alle weltweit im Umlauf befindlichen US-Dollars zu decken. Gleichzeitig mussten im Inland hohe Arbeitslosigkeit und Inflation bekämpft werden. In einem überraschenden Alleingang verkündete Nixon das Ende der Konvertierbarkeit von US-Dollars in Gold für andere Länder (“Nixon-Schock“). Mit dieser Ankündigung wurde das Bretton-Woods-Abkommen faktisch hinfällig und der US-Dollar (und damit alle anderen Währungen) vom Goldstandard abgekoppelt, was den Abschied vom repräsentativen Geld auf globaler Ebene bedeutete.
Fiat moneta! – Es werde Geld!
Im letzten halben Jahrhundert hat sich das Fiat-Geld zum weltweit dominierenden Geldsystem entwickelt.
Das Wort “fiat” bedeutet im Lateinischen “es soll sein”. USD, EUR, CHF & Co. sind allesamt “fiat”-Geld und unterscheiden sich von repräsentativem Geld dadurch, dass sie weder durch Gold noch durch etwas anderes gedeckt sind. Fiat-Währungen haben keinen intrinsischen Wert und sind ausschliesslich durch Regierungsbeschluss geschaffenes Geld. Die Regierungen erklären sie zu “gesetzlichen Zahlungsmitteln” und verlangen, dass Schulden sowie Steuern in gesetzlichen Zahlungsmitteln beglichen werden, wodurch eine ständige Nachfrage nach ihren nationalen Währungen entsteht.
Heutzutage nutzt die politische Macht ihre Zwangsgewalt, um ein Monopol auf die Produktion und den Umlauf von Geld durchzusetzen, was insbesondere die Existenz eines “gesetzlichen Zahlungsmittels” impliziert, d. h. ein Verbot anderer Währungen als der “nationalen” Währung.
— Salin, Das internationale Währungssystem und die Theorie der Währungssysteme, 2016
Nationale Währungen lenken und erzwingen die Geldpolitik im Inland und sind international ein geopolitisches Machtinstrument. Die Kontrolle über die vorherrschende Währung bringt der jeweiligen Nation erhebliche wirtschaftliche Vorteile, wie die Möglichkeit Wertpapiere auszugeben, die von anderen Nationen stets stark nachgefragt werden. Heutzutage übt der US-Dollar diesen Einfluss auf unterschiedliche Weise aus. Zwar wird dieser Einfluss oft als eigenständiges Thema diskutiert, doch sind sie alle miteinander verbunden: Eurodollars, Petrodollars, Dollarisierung, Washington Consensus, Fed Put und andere.
Nun, wie wird Fiatgeld erschaffen?
Diese Frage lässt sich auf zwei Ebenen beantworten: auf der Makro- und auf der Mikroebene. Auf der Makroebene ist die Schaffung von Fiatgeld ein kompliziertes Zusammenspiel zwischen der Finanzpolitik der Regierung und der Geldpolitik der Zentralbank, wie in Abbildung 2 dargestellt.
Abbildung 2: Das Zusammenspiel von Finanz- und Geldpolitik bei der Schaffung von Fiatgeld auf Makroebene.
Durch das Fokussieren auf den wesentlichen Prozess wird klar, dass (1) es mit Defizitausgaben beginnt, eine elegante Art zu erklären, dass die Regierung zu viel Geld ausgibt. Die Regierung hat drei Möglichkeiten auf ihre Schulden zu reagieren: Zahlungsunfähigkeit (niemand will das), Steuererhöhungen (politisch unpopulär) und Finanzpolitik (Kreditaufnahme). (2) Um Kredite aufzunehmen, gibt die Regierung Staatsanleihen aus, d. h. Darlehen mit festem Zinssatz. Dieser Schritt erhöht die Staatsverschuldung und verpflichtet die jetzigen und künftigen Bürger, die Schuldenzurückzuzahlen. (3) Das Finanzministerium verkauft die Anleihen in Anleiheauktionen, bei denen nur die Primärhändler, mitbieten dürfen. (4) Die Zentralbank kann bestimmte Wertpapiere direkt von den Marktteilnehmern kaufen (FED-Terminologie: “Offenmarktgeschäfte”, EZB-Terminologie: “Ankaufprogramme”). Auf diese Weise können die Banken Anleihen mit Gewinn an die Zentralbank verkaufen. (5) Um zu bezahlen, setzt die Zentralbank einfach den Computer ein, um das Guthabenkonto der Bank zu erhöhen” (Ben Bernanke). Somit schuldet die Bank der Zentralbank das neu geschaffene Geld.
Auf der Mikroebene läuft ein ganz ähnlicher Prozess zwischen Geschäftsbanken und ihren Kunden ab. Die bewusste Praxis der venezianischen Goldschmiede – mehr Papiergeld auszugeben, als sie Gold in ihren Tresoren hatten – findet heute in einer Bank statt, wenn ein Kunde um einen Kredit bittet: Seinem Konto wird einfach der Kreditbetrag gutgeschrieben und die Bank verlängert ihre Bilanz um denselben Betrag. Der Kunde schuldet der Bank also das neu geschaffene Geld. Man spricht hier von Mindestreserve-Bankwesen (“fractional reserve banking”). Die Banken müssen nicht 100 % der Kundeneinlagen als Reserven halten, um Kredite zu vergeben.
Ist es nicht eine bemerkenswerte Beobachtung, dass die Zentralbanken beim Kauf von Anleihen oder anderen Wertpapieren keine Reserven ausgeben, sondern das Geld durch Gutschrift auf den Konten der Geschäftsbanken schaffen? Nichtbanken müssen Ersparnisse/Rücklagen verwenden, um ein Wertpapier (oder etwas anderes) zu bezahlen, da nur Banken das Privileg haben, neues Geld zu schaffen. Beachten Sie auch, dass die Rückzahlung eines Kredits die Geldmenge wieder verkleinert.
Zusammenfassung und Ausblick
Um die Ursprünge der Inflation im Fiat-Geldsystem zu verstehen, haben wir die wirtschaftlichen Funktionen und Schlüsseleigenschaften des Geldes kennengelernt und erfahren, wie es sich von der Ware zum Repräsentativgeld entwickelt hat. Dann haben wir in aller Kürze die Ereignisse rund um die beiden Weltkriege skizziert, um zu zeigen, wie Fiatgeld entstanden ist. Wir haben die Rolle der Zentralbanken und der Geschäftsbanken bei der Schaffung neuen Geldes durch einfache Gutschrift auf Konten oder Ausgabe von Krediten gesehen.
Da dieses System bemerkenswert ist und Anlass zur Hinterfragung gibt, werden wir uns in Teil 2 mit einigen der Folgen des Fiat-Geldsystems befassen. Diese Analyse wird Anlegern einen Rahmen bieten, in dem sie die Rolle von Bitcoin und anderen Kryptowährungen in der Zukunft des dezentralisierten Web3 besser einschätzen können.
(*) Dieser Text ist eine stark gekürzte Teilzusammenfassung eines längeren Buchkapitels des Autors. Die Verkürzung komplexer Themen erfordert Vereinfachungen, die den Details nicht immer gerecht werden können. Wir laden interessierte Leser ein, das gesamte Buchkapitel zu lesen, das zahlreiche Quellen enthält, die wir hier aus Gründen der Lesbarkeit auslassen mussten. Der Volltext ist bei Springer frei verfügbar
Marcus Dapp
Head of Research