Der Rechtsrahmen für eine tokenisierte Wirtschaft – das TVTG von Liechtenstein
15.03.2020
Wichtigste Erkenntnisse:
- **Das “Token-Container-Modell” ermöglicht eine technologieneutrale und agnostische Token-Definition und schliesst damit die Lücke zwischen digitaler und physischer Welt – letztlich kann alles tokenisiert werden.
- **Der neutrale Ansatz des TVTG bietet allen Branchen genügend Flexibilität, um neue Geschäftsmodelle zu erschliessen. Die Rechtssicherheit durch das neue Gesetz wird auch neue Marktteilnehmer hervorbringen.
- **Die Gesetzgebung bietet Verbrauchern eine Grundlage für das Vertrauen in neue Technologien, das vorher nicht unbedingt vorhanden war.
Das Token- und VT-Dienstleister-Gesetz (TVTG, auch “Blockchain-Gesetz” genannt) hat im Oktober 2019 in Liechtenstein einstimmig seine zweite Lesung im Landtag durchlaufen. Dieses am 1. Januar 2020 in Kraft getretene Gesetz ist der weltweit erste Rechtsrahmen, der die Token-Wirtschaft umfassend regelt. Aber beinhaltet das Gesetz und was bedeutet es für die Zukunft Liechtensteins sowie für die Zukunft der Regulierung rund um Blockchain und rund um Kryptowährungen auf globaler Ebene?
Die herausragende Professionalität von Regierung und Regulierungsbehörde zeigt, warum Liechtenstein gut aufgestellt ist, um seine Vorreiterrolle im Blockchain-Bereich in Zukunft weiter auszubauen. Das Blockchain-Gesetz ist ein weiterer Schritt in Richtung dieses Ziels und das weltweit erste Gesetz, das die Token-Wirtschaft regelt.
Herzstück des TVTG ist das “Token-Container-Modell” (TCM), das eine technologieneutrale und sachliche Token-Definition ermöglicht. Gemäss diesem Modell ist ein Token ein Container, der die digitale Welt mit der physischen Welt verbindet. Dies kann etwas Physisches, eine Immobilie, Gold, Aktien, Anleihen usw., ein Service, aber auch ein digitaler Code wie Bitcoin sein. Daraus folgt, dass das TCM eine Rechtssicherheit für bereits bestehende Rechte, aber auch für Rechte an digitalen Informationen auf Basis von Blockchain-Systemen bietet.
In Anbetracht der Notwendigkeit, die Lücke zwischen der physischen (offline) und der digitalen Welt (online) zu schliessen, wird im TVTG zudem die Rolle des “physischen Validators” als einer registrierter Mittelsperson eingeführt, die die Durchsetzung von in Token repräsentierten Rechten an Sachen gewährleistet. In diesem Sinne bildet der TVTG auch eine zivilrechtliche Grundlage dafür, was eine effektive Übertragung des in Token repräsentierten Rechts von Partei A zu Partei B beinhaltet und was eine effektive Übertragung dieser neu geschaffenen digitalen Assets im Allgemeinen bedeutet.
Liechtenstein baut die Rolle des physischen Validators aus, da sich das Land aufgrund seiner Vertrauensgeschichte besonders gut für die Niederlassung solcher Dienstleister eignet. Ein Token wird definiert als eine Information auf einem VT-System (“vertrauenswürdige Technologie”), die Forderungs- oder Mitgliedschaftsrechte gegenüber einer Person, Rechte an Sachen oder andere absolute oder relative Rechte repräsentieren kann und einem oder mehreren VT-Identifikatoren zugeordnet wird.
Zusammengefasst und vereinfacht heisst das: Wenn Sie ein Recht auf Gold tokenisieren, ist dies ein Beispiel für die Übertagung eines physischen realen Vermögenswerts auf einen Token und damit in die digitale Welt. Hier würde der physische Validator sicherstellen, dass das Gold tatsächlich existiert. Treten bei dieser Speicherung Fehler auf, dann ist der physische Validator dafür verantwortlich.
Im Beispiel des tokenisierten Goldes werden mehrere weitere Dienstleister notwendig sein. Zum Beispiel wird ein “Token-Erzeuger” benötigt, um den Smart Contract einzurichten, und der “Token-Emittent” stellt den Token aus. In Bezug auf die Speicherung kommt dem “VT-Schlüssel-Verwahrer” eine wichtige Rolle zu, da er für die Verwahrung der privaten Schlüssel verantwortlich zeichnet. Es sind noch viele weitere Funktionen beteiligt, was zeigt, wie geregelt und strukturiert die Tokenisierung gemäss dem Blockchain-Gesetz in Liechtenstein erfolgen wird. Neben dem “VT-Schlüssel”, der die Verwahrung möglich macht, braucht es einen “VT-Identifikator”, der die eindeutige Zuordnung von Token sicherstellt.
Ein weiterer sehr interessanter Fall ist die Tokenisierung von Aktien. In diesem Fall ermöglicht das TVTG ein Schliessen der Lücke zwischen klassischer Finanzindustrie und Distributed-Ledger-Technologie. Kleine und mittlere Unternehmen beispielsweise können ihre Aktien mit einem Token versehen, der dann gehandelt werden kann.
Die klar definierte Rollenverteilung in der Token-Wirtschaft bietet Finanzinstituten unter anderem neue Chancen innerhalb der Wertschöpfungskette. Ein registrierter “VT-Erzeuger” kann beispielsweise auch die Rolle eines “VT-Schlüssel-Verwahrers” zur Verwahrung der privaten Schlüssel sowie die Rolle eines “VT-Wechseldienstleisters” beim Wechseln von Kryptoassets in Fiatgeld ausüben. Unternehmen können daher mehrere Rollen ausfüllen, während die Kunden davon profitieren, dass sie einen Single Point of Entry in die Token-Wirtschaft haben.
Das Containermodell ist somit neutral, was die Darstellung von Rechten an anderen Arten von Token ermöglicht. Dazu gehören auch Token, die in anderen Gerichtsbarkeiten als Nutzungs-Token, stabile Token usw. klassifiziert werden. Die Vermeidung dieser Einstufung zugunsten eines neutraleren Ansatzes zeigt die Innovationskraft des TVTG. Im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen, in denen diese bereits bestehenden Definitionen in den Rechtsrahmen aufgenommen wurden, entschied sich Liechtenstein für einen möglichst neutralen Ansatz, um dem Wandel und der Innovation im Cryptospace Rechnung zu tragen. Damit bietet das TVTG allen Branchen genügend Flexibilität, um neue Geschäftsmodelle zu erschliessen, und ermöglicht es Unternehmern, Nischen zu besetzen und in einem regulierten Umfeld zu wachsen.
Diese neue Gesetzgebung wird in einem Land umgesetzt, in dem die für ihre Durchsetzung zuständige Regulierungsbehörde, die Finanzmarktaufsicht (FMA), bereits über das erforderliche Fachwissen für den Umgang mit diesen Projekten verfügt. Mit einer ganzen Abteilung für fintechbezogene Anfragen hat die FMA bereits eine Wissensdatenbank rund um Blockchain- und Kryptoprojekte aufgebaut. Sie wird nur dazu dienen, die Blockchain-Gemeinschaft hier zu vergrössern, sobald das Gesetz in Kraft ist.
Obwohl viele argumentieren, dass die Regulierung des Blockchain-Sektors im Widerspruch zum Peer-to-Peer-Charakter der Technologie selbst steht, wurde das TVTG sorgfältig so gestaltet, dass die Lücke zwischen den bereits bestehenden Vorschriften und diesen neuen technologischen Innovationen überbrückt wird und keine unnötigen regulatorischen Hürden entstehen, wo die Technologie deren Aufgabe bereits erledigt. Vielmehr soll der Rahmen den Übergang von traditionell zentralisierten und regulierten Intermediären zu dezentralen Systemen erleichtern. Das Gesetz soll auch dabei helfen, Geldwäscheaktivitäten einzudämmen, indem die Dienstleister Vorschriften zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung einhalten müssen.
Anders als oft angenommen, wollen seriöse Unternehmen in der Branche nämlich genau ein derart reguliertes Umfeld. Daher schaffen die neuen Rollen und Anforderungen für Dienstleister im TVTG Unter ein Support-Netzwerk für nehmern, die VT-Dienstleister werden wollen, was durch eine freundliche regulatorische Aufsicht gefördert wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die durch das TVTG geschaffene Rechtssicherheit Unternehmen aus verschiedenen Branchen dazu veranlassen wird, einen Markteintritt in Betracht zu ziehen, was tendenziell zu einer Verschärfung der Wettbewerbsbedingungen führt. Aus Kundensicht und für den Finanzmarkt Liechtenstein ist eine gesunde Wettbewerbssituation sehr positiv und kann als Vorteil gesehen werden.
Darüber hinaus bietet die Gesetzgebung Verbrauchern eine Grundlage für das Vertrauen in diese neuen Technologien, das vorher nicht unbedingt vorhanden war, und erleichtert die Suche der Kunden nach geeigneten Partnern innerhalb der Token-Wirtschaft. Es ist zu erwarten, dass das Gesetz und die damit verbundene Rechtssicherheit dazu führen werden, dass Liechtenstein als Fintech- und Blockchain-Standort für Unternehmer an Bedeutung gewinnen wird und das Land somit von neuen Marktteilnehmern profitieren kann.
Zudem schreckt die Regulierung unseriöse Marktteilnehmer ab, was einer proaktiven Minimierung von Reputationsrisiken gleichkommt.
Berücksichtigt man den Ruf Liechtensteins als Finanzzentrum, eignet sich das Land gut, alle Dienstleistungen zu erbringen, die notwendig sind, um den Erfolg von tokenbasierten Projekten zu ermöglichen. Liechtensteins Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum ermöglicht beispielsweise die Einführung bestimmter Lizenzen und Dienstleistungen nach Europa als Ganzes, wodurch Unternehmer Zugang zum europäischen Binnenmarkt erhalten. Obwohl diese Vermittlerrolle nicht für die spezifischen Zulassungsvoraussetzungen des TVTG gilt, besteht die Hoffnung, dass auf dieses Modell ein gesamteuropäischer Rahmen in ähnlichem Sinne folgen wird. Struktur und Ausrichtung des TVTG dienen bereits heute als Inspiration für andere Jurisdiktionen, auch ausserhalb Europas.
Nur die Zeit wird zeigen, wie sich das Inkrafttreten dieses Gesetzes letztlich auswirken wird. Die Perspektiven sollten jedoch glänzend sein, und die hiesige Blockchain-Gemeinschaft freut sich bereits darauf, weitere Innovatoren nach Liechtenstein einzuladen, um Veränderungen voranzutreiben, die zweifellos auch auf globaler Ebene spürbar sein werden.