Regulatorische Gedanken zum Aufstieg von Decentralized Finance

15.02.2021 - 12 Minuten Lesedauer

Wichtigste Erkenntnisse:

  1. Die DeFi sollte als Teil der “Welt externer Wallets” angesehen werden und nicht der “Welt der Intermediäre”.
  2. Finanzintermediäre sollten geeignete Massnahmen treffen, um die Verwendung der DeFi in ihr Geldwäschereibekämpfungs-Risikomanagement zu integrieren.
  3. Die Effektivität und Effizienz der Geldwäschereibekämpfung verbessern sich nicht, wenn die DeFi auf der gleichen Grundlage wie Intermediäre reguliert wird, sondern nur, wenn Punkt 2 richtig umgesetzt wird.

Einleitung

Einer der Hypes bei der Einführung von dezentralen Geschäftsmodellen betraf Mitte 2020 die Decentralized Finance (DeFi). So wie der ICO-Boom im Jahr 2017 den Weg für ausgereiftere Geschäftsmodelle wie STOs und die Tokenisierung im Allgemeinen ebnete, wird sich auch die DeFi langfristig etablieren und weiter an Bedeutung gewinnen. Der DeFi-Sektor verfolgt sowohl auf internationaler Ebene als auch in der Schweiz einen rasanten Wachstumskurs .

Um diesen Veränderungen in der Geschäftswelt Rechnung zu tragen, muss das rechtliche und regulatorische Rahmenwerk an die neue Technologie angepasst werden. In diesem Sinne hat das Schweizer Parlament gerade einstimmig für ein neues DLT-Gesetz gestimmt und eine DLT-Verordnung auf den Weg gebracht. Der neue Schweizer Regulierungsrahmen, der auf einem technologieneutralen Ansatz basiert, legt den Grundstein für die dringend benötigte Rechtssicherheit. Hinsichtlich des Inhalts und der Gesamtausrichtung wird der neue Rechtsrahmen für DLT von der betroffenen Branche weitgehend unterstützt und begrüsst.

Die Finanzmarktaufsicht und die Finanzmarktregulierung sind jedoch nie ganz abgeschlossen, da die Welt ständig im Wandel ist. Die regulatorische Erfassung von DeFi gehört zu den Themenbereichen, die sich zwangsläufig mit dem sich ständig verändernden DeFi-Raum weiterentwickeln werden. Es ist daher sinnvoll, Überlegungen zu den Grundlagen und zur Geschichte der Finanzaufsicht anzustellen. Insbesondere vor dem Hintergrund der zur schweizerischen Geldwäschereiverordnung vorgeschlagenen Änderungen erscheint eine tiefgehende Betrachtung dieses speziellen Aspekts der Finanzmarktregulierung gerechtfertigt.

Historische Perspektive

Geschichtlich gesehen wurde der Rechtsrahmen der Geldwäschereibekämpfung vor allem auf Druck der USA verankert. Der Grund für die fortgesetzte Verschärfung der AML-Regulierung war dementstprechend vor allem der Krieg gegen Drogen und das organisierte Verbrechen.

Im Rahmen internationaler und US-amerikanischer Bemühungen hat die Schweiz diese Bestrebungen unterstützt und zunehmend strengere Auflagen für Finanzintermediäre eingeführt. Auch internationale Organisationen wie die FATF und die OECD haben die internationale Zusammenarbeit deutlich ausgebaut und weiterentwickelt, aber auch nicht gezögert, einzelne Länder öffentlich zu tadeln, wenn Standards nicht wie vorgesehen umgesetzt oder befolgt wurden.

Es leuchtet vielleicht nicht sofort ein, warum die Aufsicht über Finanzintermediäre im Kampf gegen organisiertes Verbrechen und Drogenkartelle intensiviert werden soll. Die dahinter stehende Idee war und ist es, diejenigen finanziell zu isolieren, die sich im Besitz von “schmutzigem” Geld befinden, und im Idealfall vollständig zu verhindern, dass illegal erworbene Gelder ausgegeben werden und wieder in legale Geschäftstätigkeiten fliessen können. Die Garantenstellung von Finanzintermediären wurde deshalb in den letzten Jahren immer umfassender ausgestaltet (z. B. durch Einbeziehung von Steuerdelikten und die Herabsetzung von Schwellenwerten) und stellt für den Staat neben den allgemeinen strafrechtlichen Bestimmungen im Schweizer Strafgesetzbuch einen zusätzlichen Angriffsvektor dar.

Ausweitung der Finanzmarktregulierung

Nach Krisen nimmt die staatliche Regulierungstätigkeit typischerweise deutlich zu, da Krisensituationen die Schwachstellen des Bestehenden offenlegen und die Notwendigkeit des Neuen deutlich machen. Auch die Finanzkrise 2008 blieb dieser Regel treu und hat eine nicht endende Flut von neuen Meldepflichten, Formularen und Sorgfaltspflichten ausgelöst.

Die übergeordneten Ziele einer verschärften Aufsicht über die Finanzwelt sind im Finanzmarktaufsichtsgesetz festgelegt. Zu den wichtigsten Zielsetzungen der Schweizer Finanzaufsicht gehören der Schutz von Gläubigern, Anlegern und Versicherten (einige würden auch den Konsumentenschutz nennen) sowie die Sicherstellung des ordnungsgemässen Funktionierens des Finanzmarktes. Beide Aspekte tragen zu einer nachhaltigen Reputation, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit des Schweizer Finanzplatzes bei.

Es ist daher nur verständlich, dass auch die DLT-Branche diesem Zyklus unterworfen ist. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass sich die gesamte regulatorische Aktivität rund um die Klassifizierung von Token ohne den ICO-Boom 2017 nicht in gleicher Weise entwickelt hätte. Dies war einerseits ein starkes Signal der Aufsichtsbehörde (für einige mag es auch eine Überraschung gewesen sein), anderseits schaffte die Regulierung auch die dringend benötigte Rechtssicherheit in der Branche. Heute werden diese Klassifizierungsregeln in den betrieblichen Prozesse implementiert und weiter an die Praxis angepasst. Es ist angesichts der immer breiteren Akzeptanz der Blockchain-Technologie absehbar, dass insbesondere auch der DeFi-Bereich auf dieselbe Art reguliert werden wird.

Spezifische Aspekte der DeFi

Technische Komplexität

Die Aufsicht über dezentrale digitale Vermögenswerte ist naturgemäss schwierig, da es keine zentrale Institution mit Entscheidkompetenz gibt. Eine weitere Schwierigkeit besteht in der technischen Ausgereiftheit dieser Finanzprodukte, z. B. die Blockchain im Vergleich zu den Geschäftsbüchern einer traditionellen Bank, Smart Contracts im Vergleich zu normalen Verträgen.

Im erläuternden Bericht zur DLT-Vorlage wird darauf hingewiesen, dass die Aufsichtsbehörden komplexe und unverhältnismässig aufwendige Einordnungen durchführen müssen, um zu beurteilen, welche gesetzlichen Regelungen für den betreffenden Kontext gelten. In diesem Sinne wird in dem aktuellen Gesetzesvorschlag angeregt, den Kreis der Aktivitäten und Parteien, die unter das Schweizer AML-Rahmenwerk fallen, drastisch auszuweiten, anstatt eine faktenbasierte Beurteilung auf individueller Ebene vorzunehmen.

Vermittlungsgeschäfte

Das Schweizer AML-Rahmenwerk gilt für Finanzintermediäre, die im Schweizer Geldwäschereigesetz definiert sind. Es ist als unbestrittene Stärke des Schweizer Rahmenwerks zu werten, dass diese Definition recht weit gefasst ist und beispielsweise Bitcoin Suisse bereits 2014 als Finanzintermediär reguliert werden konnte.

Die Herausforderung in der DeFi-Welt besteht darin, dass die Akteure nicht über einen zentralen Vermittler zusammenarbeiten, sondern auf Basis von Smart Contracts und individuellen Interaktionen mit ihren Adressen Transaktionen auf der Blockchain tätigen. In den meisten Fällen wird ein DeFi-Protokoll von einem Akteur gepflegt. Es gibt jedoch unendlich viele Optionen, um eine bestimmte Funktion auf der Blockchain bereitzustellen, ohne sie im Weiteren zu warten oder zu erhalten.

Im Sinne der Verfügungsmacht (d.h. der tatsächlichen Möglichkeit über etwas zu verfügen) als Hauptstandbein des Schweizer Geldwäscherei-Rahmens besteht die aktuelle regulatorische Stossrichtung in einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der Verfügungsmacht als Voraussetzung, reguliert zu werden. Die Aufsichtstätigkeit und die Regulierung sollen auf Akteure ausgeweitet werden, die den Transfer von virtuellen Vermögenswerten zwar unterstützen können, aber nicht eigenständig dazu in der Lage sind (z. B. im Multi-Sig-Kontext). In Verbindung mit der zusätzlichen Anforderung einer laufenden Geschäftsbeziehung soll durch das Rahmenwerk eine Auseinandersetzung mit der technischen Realität und der Komplexität jedes einzelnen Anwendungsfalls vermieden werden, indem das angestrebte Zielspektrum der Geldwäscherei-Aufsicht erweitert wird.

Unabhängig davon, ob dies als Nebeneffekt erfolgt oder tatsächlich beabsichtigt ist, erscheint zumindest fraglich, ob bestimmte DeFi-Funktionen denen von traditionell beaufsichtigten und regulierten Finanzintermediären gleichzustellen sind. Die Frage nach deren Gleichbehandlung muss sowohl im Hinblick auf die Funktion solcher Plattformen innerhalb von DeFi als auch auf die Ziele der Aufsicht und Regulierung beurteilt werden.

Ziel der Verordnung

Gemäss der Zielsetzung der Verordnung (Schutz von Gläubigern, Anlegern und Versicherten, Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes und damit Beitrag zur nachhaltigen Reputation, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit des Finanzplatzes Schweiz) müssten DeFi-Geschäftsmodelle nicht zwingend Gegenstand der Verordnung sein, denn diese Plattformen bringen nur bereits handelswillige Akteure zusammen, ohne dass sie selbst Positionen oder Beratungsmandate halten würden.

Es sind nämlich gerade diese Tätigkeiten, die im klassischen Finanzwesen die Unterwerfung von Finanzintermediären wie Banken und Treuhändern unter Regulierung und Aufsicht rechtfertigen. Da diese Funktionen aber nicht von spezialisierten Einheiten innerhalb von DeFi erfüllt werden, sondern ebenfalls dezentral auf alle Teilnehmer verteilt sind, muss die Regulierungstätigkeit ein anderes Subjekt ins Visier nehmen, um die Erreichung der Ziele der Regulierung sicherzustellen.

Lösungsansatz

Verfügungsmacht als nachgewiesenes Kriterium

Ein bewährtes Kriterium, um zu bestimmen, wer beaufsichtigt und reguliert werden soll, ist die Verfügungsmacht über Vermögenswerten von Dritten. Das oberste Ziel der Geldwäscherei-Regulierung – nämlich die finanzielle Isolierung von Akteuren, die sich im Besitz von illegal erworbenen Geldern befinden – kann indessen nicht erreicht werden, wenn in den DeFi-Geschäftsmodellen kein Akteur diese Verfügungsmacht hat. Ohne Verfügungsmacht könnte das potenzielle Subjekt der GwG-Aufsicht einige seiner Aufgaben, wie die Sperrung von Vermögenswerten, nicht erfüllen, was zu schwierigen rechtlichen Fragen und zu weniger Rechtssicherheit für alle Beteiligten führen würde.

Verwendung der DeFi als Teil eines risikobasierten Rahmenwerks

Derzeit können Fiatwährungen nur dann mit DeFi-Modellen interagieren, wenn Stablecoins auf Blockchain-Protokollen verfügbar sind. Besonders angesichts der derzeit geltenden Vorschriften im Zusammenhang mit der Travel Rule und dem Proof-of-Ownership zeigt sich, dass sich zwei voneinander getrennte Welten herausbilden werden: die Welt der Custodial Wallets und die Welt der externen, individuellen Krypto-Wallets.

Um mit DeFi-Protokollen zu interagieren, muss eine Person entweder ihre individuelle Wallet oder eine Custodial Wallet ihres Anbieters verwenden. Sobald diese Person mit einem Finanzintermediär in Kontakt tritt (z. B. um digitale Assets in Fiatwährungen zu konvertieren, um an einem ICO teilzunehmen oder um von der DeFi nicht unterstützte Währungen zu tauschen), sind bei der Eröffnung der Geschäftsbeziehung die Historie und der wirtschaftliche Hintergrund zu klären und zu dokumentieren. Es sollte in der Zuständigkeit jedes einzelnen Finanzintermediärs liegen, zu beurteilen und festzulegen, inwieweit der Einsatz von DeFi die Risikobewertung eines Kunden beeinflusst. Denkbar ist beispielsweise, dass Finanzintermediäre auf Transaktionen oder Kunden, die mit DeFi in Verbindung stehen, eine erhöhte Sorgfaltspflicht anwenden. In jedem Fall ist ein tiefes technisches Verständnis erforderlich, selbst wenn es manchmal viel verlangt ist, ein Geschäftsmodell umfassend nachzuvollziehen.

Wenn eine Person DeFi mit ihrer Custodial Wallet nutzt, unterliegt der Anbieter der Geldwäscherei-Aufsicht und ist gesetzlich verpflichtet sicherzustellen, dass er sich über die mit diesem Service verbundenen Transaktionen und des Risikos im Klaren ist.

In beiden Fällen könnte das mit DeFi verbundene Geldwäscherei-Risiko gemindert und erkannt werden, ohne dass der aufsichtsrechtliche Schwerpunkt auf DeFi-Geschäftsmodelle ohne echte Intermediäre ausgeweitet wird. Die Aufsicht hätte somit die Möglichkeit, sich auf das technische Fachwissen bestehender Finanzintermediäre zu stützen, die solche Tätigkeiten verstehen und bewerten müssen. Ausserdem würde dies dem historischen Ansatz der Inanspruchnahme von Intermediären entsprechen, anstatt dass versucht würde, illegal erworbene Mittel auf individueller Ebene zu isolieren.

Unabhängige Nutzung der DeFi

Ein Nebeneffekt der Regulierung ist, dass Kunden und Investoren Vertrauen in das System und in die beaufsichtigten Unternehmen setzen können und somit in ihre Anlageentscheidungen weniger Misstrauen einkalkulieren müssen.

Würde DeFi, wie hier vorgeschlagen, nach dem Prinzip der Verfügungsmacht reguliert, könnten sich Kunden und Investoren nicht darauf verlassen, dass ihre Gegenparteien für sie auf Vertrauenswürdigkeit geprüft würden, und müssten ein gewisses Risiko einkalkulieren.

Kunden und Anleger sind aber auch in allen anderen Geschäftsbereichen für die Auswahl der Gegenparteien verantwortlich und dürfen nicht darauf vertrauen, dass ihre Gegenparteien von staatlicher Seite für sie überprüft werden. Es schweint dies daher ein akzeptabler Kompromiss zu sein.

Nutzung der DeFi mit vertrauenswürdigen Finanzintermediären

Kunden und Investoren müssen jedoch nicht völlig ungeschützt sein. Die Erfahrung im traditionellen Finanzwesen zeigt, dass man den berechtigten Schutzbedarf der Kunden und Anleger auf unterschiedliche Weise befriedigen kann, unter anderem durch die Regulierung von professionellen Dienstleistern. Im Gegensatz zur reinen Regulierung von Finanzprodukten findet dieser Regulierungsansatz Anwendung auf Akteure mit grossen Einfluss auf das System und bedeutenden Möglichkeiten, vom gesetzlichen und moralischen Weg abzuweichen.

Da auch davon auszugehen ist, dass professionelle Dienstleister mit den regulatorischen Anforderungen eingehender vertraut sind, wird die Regulierung auch bessere Ergebnisse hervorbringen, da sie mit mehr Know-how umgesetzt wird. Ausserdem können die Ziele der Verordnung und insbesondere der Schutz von Kunden und Anlegern effektiver und effizienter gewährleistet werden als durch die Regulierung der DeFi-Produkte selbst.

Dies ist auch systemtechnisch vorzuziehen. Die Regulierung professioneller Dienstleister, die grösseren Einfluss und mehr Macht haben, und einen Servicestandards in der Branche dominieren können, dürfte somit effektiver sein als die Regulierung einzelner Details aller DeFi-Produkte.

Fazit

In diesem Artikel wird dargelegt, wie Finanzintermediäre zum Ziel von Regulierungen werden und wie dies auf den ersten Blick mit dem Aufstieg von DeFi-Geschäftsmodellen in Konflikt geraten kann. Ersichtlich wird aber auch, dass die DeFi effektiv reguliert werden könnte, ohne den Geltungsbereich des Schweizer Geldwäscherei-Rahmenwerks auszuweiten. Dies könnte dadurch erreicht werden, dass Finanzintermediäre, wie bei allen anderen Finanzaktivitäten auch, verpflichtet werden, DeFi in ihren Risikorahmen einzubeziehen und so als Garanten zu fungieren. Letztendlich ist auch eine gewisse Lockerung notwendig, weil eine Verordnung niemals alle möglichen Entwicklungen abdecken kann. Die Schweiz sollte ihre hervorragende Position nicht durch den Versuch gefährden, DeFi-Geschäftsmodelle regulatorisch zu erfassen, ohne dass sich daraus wesentliche Vorteile hinsichtlich der Ziele der Regulierung ergeben.

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