Ethereums lange Kette von Forks in Richtung "Merge"

10.02.2022

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  1. Nach einer langen Kette von Forks von 2015 bis heute, in der die Ethereum-Community zusammenhielt (ausser in einem Fall), hat das Projekt jetzt die entscheidende letzte Etappe der Migration nach Ethereum 2.0 erreicht. Während die Community eine „rollup-zentrierte“ Roadmap für die Skalierung auf Layer-2 vorantreibt und damit Neuland betritt, ist die Merge auf der Base Layer die erste ihrer Art und wird 2022 die gesamte Energie und Aufmerksamkeit der Ethereum-Entwickler erfordern.
  2. Der Einsatz könnte höher nicht sein, denn neben den vielen technischen Änderungen, die für eine erfolgreiche Zusammenführung parallel eintreten müssen, ist Ethereum einem kleinen, aber schnell wachsenden Wettbewerb durch neue Plattformen ausgesetzt, die bereits heute eine kostengünstigere Ausführung von Smart Contracts anbieten.
  3. Unserer Ansicht nach ist die Liste der Entscheidungen beträchtlich, die aufgrund unklarer langfristiger Auswirkungen einer eingehenderen Untersuchung und Debatte bedürfen. Wie wird die endgültige Geldpolitik von Ethereum 2.0 aussehen? Wird sie für kostengünstige Smart Contracts oder “Ultrasound Money” mit hohem Preisniveau optimiert sein? Der Energieverbrauch unter Proof-of-Stake ist geringer, aber ist das Verfahren ebenso sicher und unveränderlich wie ein Proof-of-Work-Mechanismus?

Eine lange Kette von Forks

Software-Upgrades in verteilten Systemen wie Blockchain-Protokolle können sich als komplexer erweisen als ein Upgrade Ihres Browsers. Die Kernfrage dabei lautet: Was geschieht mit denjenigen, die nicht auf das Upgrade umstellen können und auf der alten Version verbleiben? Ein Webbrowser, der fünf Jahre lang nicht aktualisiert wurde, hat unter Umständen Probleme mit neueren Websites, mehr aber auch nicht. Da sich die zugrunde liegenden TCP/IP- und HTTP-Protokolle, die das Internet antreiben, nicht geändert haben, befinden sich alle weiterhin im “gleichen” Internet, nur mit älteren oder neueren Browser-Versionen. In der Blockchain-Terminologie wird dies als “Softforks” bezeichnet (Tabelle 1). Wird aber gleichzeitig das zugrunde liegende Protokoll geändert, kann sich im Prinzip alles verändern. Kunden mit und ohne Upgrades finden sich eventuell auf verschiedenen “Internets” wieder, die nicht mehr miteinander kompatibel sind. In der Blockchain-Welt wird dies als “Hard Forking” bezeichnet. Softforks sind im allgemeine wenig problematisch. Beim “Hard Forking” muss jedoch ein hohes Mass an Konsens vorhanden sein, um eine dauerhafte Spaltung der Chain in zwei Teile zu verhindern. Wenn sich die Entwicklergemeinschaft aber nicht auf eine gemeinsame Richtung für das Netzwerk einigen kann, bleibt nur eine Option: Diejenigen, die nicht einverstanden sind, machen eine Kopie und gehen ihren eigenen Weg.

Angesichts dieser Komplexität beeindruckt die lange Kette von Forks, die Ethereum – die Plattform, die den Weg für Smart Contracts und dezentrale Anwendungen bereitet hat – seit ihrer offiziellen Lancierung 2015 durchlaufen ist. Die meisten Hardforks, die in einem sechsjährigen Zeitraum in vier Entwicklungsphasen umgesetzt wurden, waren geplant und unstrittig. In Abbildung 1 sind die wichtigsten Änderungen jeder Hardfork im Überblick dargestellt (EIP für “Ethereum Improvement Proposals”).

Allgemein konnte die Ethereum-Community langwierige, lähmende Streitigkeiten wie den Bitcoin-Streit um die Blockgrösse vermeiden. Eine der Ethereum-Forks führte aber zu vielen Debatten und Unzufriedenheit. Damals legten die führenden Ethereum-Entwickler eine Hardfork auf, um den “DAO Hack” zu beheben, bei dem USD 60 Mio. abgezogen und in die erste dezentrale autonome Organisation auf Ethereum, die DAO, investiert worden waren. Seit dieser umstrittenen Entscheidung gibt es Ethereum Classic, die die ursprünglichen Ethereum-Konsensregeln beibehalten hat, während die heutige Ethereum-Chain diejenigen entschädigt, die Ether beim DAO-Hack verloren hatten.

Die lange Kette von Hardforks auf Ethereum 1 geht 2022 nun langsam dem Ende zu. Die Community arbeitet an der letzten Phase vor der “Merge”, nämlich der Zusammenführung der Proof-of-Work-Chain von Ethereum 1 mit der Proof-of-Stake-Chain von Ethereum 2.0 Beacon Chain.

Der Schwerpunkt vieler EIP-Änderungen in der Serenity-Phase liegt daher auf der Optimierung der Ethereum-Skalierbarkeit, sei es durch die Neubewertung der Gaskosten für bestimmte Transaktionen (Opcodes), durch Verbesserungen, um Layer-2-Lösungen zu ermöglichen oder leistungsfähiger zu machen, und durch die Vorbereitung der Umstellung auf Proof-of-Stake.

Eine rollup-zentrierte Roadmap für die Skalierbarkeit

Ethereum will mit dem Ethereum 2.0-Upgrade ein Problem angehen, das alle Blockchain-basierten Plattformen belastet: Für die Synchronisierung und um “im Konsens” zu sein, müssen verteilte Netzwerke Informationen zwischen den Knoten hin und her senden. Diese Koordinierung setzt voraus, dass erstens Bandbreite vorhanden ist – daher die Debatten über unterschiedliche Blockgrössen, wie 1 MB in Bitcoin und ein “Gaslimit” für Ethereum-Blöcke. Zweitens erfordert die Koordinierung Zeit, damit sich die Informationen im gesamten Netzwerk verbreiten können – daher die Debatten über unterschiedliche Blockzeiten, wie 10 Minuten in Bitcoin und ca. 13 Sekunden in Ethereum. Die perfekte Lösung gibt es aber nicht. Verschiedene Projekte zielen mit Optimierungen auf unterschiedliche Ergebnisse ab, aber alle sind an das Blockchain-Trilemma gebunden, die Blockchain-Neuformulierung des in den 1980er Jahren entwickelte CAP-Theorem aus der Informatik. Das Theorem besagt, dass nur zwei der drei Ziele Dezentralisierung, Sicherheit und Skalierbarkeit gleichzeitig in Blockchain-Systemen umgesetzt werden können.

Da die Befürworter der Blockchain nur schwer auf Dezentralisierung oder Sicherheit verzichten können, wurde in den letzten Jahren viel Forschung und Entwicklung für Skalierbarkeits-Lösungen betrieben, die die Auswirkungen auf die beiden erstgenannten Ziele minimieren würden. Im Oktober 2020 kam Vitalik Buterin, Gründer und Mastermind des Ethereum-Projekts, zu dem Schluss, dass das Ethereum-Ökosystem wahrscheinlich vollständig auf Rollups (und einige Plasma und Kanäle) als Skalierungsstrategie für die nahe und mittelfristige Zukunft integriert würde.

Bei der Erforschung der Blockchain-Skalierbarkeit wird zwischen On-Chain-Ansätzen (Layer-1), die das Konsensprotokoll ändern, und Off-Chain-Ansätzen (Layer-2), die keine Änderungen an der Base Layer erfordern, aber ihre Sicherheit nutzen können (Abbildung 2), unterschieden.

Rollups sind Layer-2-Skalierungstechniken, die viele Transaktionen bündeln (“Roll-up”) und nur einen Proof dieser Bündelung an Layer-1 senden und diese dadurch entlasten. Je nach Proof-Logik unterscheidet man zwischen optimistischen Rollups und Zero-Knowledge-Rollups. Optimistische Rollups nehmen “optimistisch” an, dass die Transaktionen korrekt sind, und verwenden nur bei Bedarf Betrugsbelege. Zero-Knowledge-Rollups hingegen bieten für jedes Transaktionsbündel Gültigkeitsbelege.

In Bezug auf Rollups wird weiterhin aktiv Research betrieben, und Experimente und Projekte sind im gesamten Kryptoraum an der Tagesordnung. Unserer Ansicht nach wird im nächsten Jahr deutlicher werden, in welche Richtung sich das Ethereum-Projekt auf der zweiten Layer bewegen wird. Zunächst ist das Projekt aber mit einer unmittelbaren Herausforderung auf Layer 1 konfrontiert.

Trotz konkurrierender Chains die Merge meistern

Die Ethereum-Gemeinschaft steht vor zwei Herausforderungen, die sich 2021 verstärkt haben und sich 2022 voraussichtlich weiter verschärfen werden. Die erste Herausforderung ist die interne Umstellung von Proof-of-Work auf Proof-of-Stake. Mit der Merge wird darauf abgezielt, die Ethereum-1-Chain in eine Execution Shard umzuwandeln und sie danach mit der Beacon-Chain zu verknüpfen, die bereits am 1. Dezember 2020 gestartet wurde (Einlagenvertrag online seit 4. November 2020). Die zweite Herausforderung ist der Wettbewerb: Mehrere andere Smart-Contract-Plattformen sind live gegangen und fordern Ethereum in Bezug auf seinen Schwachpunkt – Transaktionsgebühren und -durchsatz – heraus.

Die Merge. Das ehrgeizige Ziel besteht darin, den zentralen Konsensmechanismus von Proof-of-Work auf Proof-of-Stake umzustellen und gleichzeitig Sharding einzuführen – und das alles ohne Betriebsunterbrechungen. Wir halten den Begriff “Merge” für ein wenig irreführend. Denn anstatt dass eine Chain mit einer anderen fusioniert, wie der Begriff vermuten lässt, wird vielmehr die ursprüngliche Chain geteilt. Die verschiedenen Komponenten von Ethereum 1 werden in eine Konsenschain (Beacon), eine Ausführungschain (zuvor Eth1) und mehrere Data Shards unterteilt. Es muss daher entschieden werden, wo Konten, Transaktionen, Blöcke usw. gespeichert werden und wie die Berechnung von Finalität, Konsens, Fork-Auswahl usw. erfolgt (Abbildung 3).

Entwickler erwarten mehrere Verbesserungen: (1) mehr Sicherheit, da durch Slashing eine Reorganisation der Chain verhindert und somit die “Blockfinalität” vorangetrieben wird; (2) PoS beseitigt den hohen Energieverbrauch von PoW (schätzungsweise um bis zu 99 %); (3) es werden die Voraussetzungen für die spätere Einrichtung von Data Shards geschaffen, die den verfügbaren Blockspace vergrössern werden; (4) Prioritätsgebühren gehen an die vom Validator kontrollierte Adresse auf der Execution Layer statt an Miner, wodurch die ETH-Liquidität wieder gegeben ist und Validatoren Stakes entnehmen können; (5) die ETH-Ausgabe verringern sich von derzeit ca. 3,5 % auf ca. 0 %.

Die Merge ist natürlich sehr komplex und daher auch ein sehr riskantes Unternehmen. Neben der inhärenten Design- und Software-Komplexität der Merge hält die Ethereum-Chain zudem Token und verwaltet Smart Contracts im Wert von über einer halbe Billion USD. Tausende von Nutzern, Entwicklern und Unternehmen weltweit vertrauen darauf, dass Ethereum rund um die Uhr reibungslos funktioniert. Diese Migration ohne Störung des Ethereum-Netzwerks zu bewerkstelligen, ist ein nervenaufreibender Prozess, der wie zuletzt bekanntgegeben voraussichtlich Mitte 2022 durchgeführt wird. Es wird sich zeigen, inwieweit die Entwicklergemeinschaft dies schaffen und das Timing von Sommer 2022 einhalten kann.

Wettbewerb. Die zweite Herausforderung ist der schnelle und verschärfte Wettbewerb im Marktsegment der Smart Contract-Plattformen. Der Wettbewerb lässt sich in Projekte unterteilen, die mit Ethereum und seiner Virtual Machine (EVM) kompatibel sind, und in solche, denen diese Kompatibilität fehlt. Die EVM führt die Smart Contract-Codierung aus, die beispielsweise in der Programmiersprache Solidity geschrieben wird. Eine EVM-kompatible Plattform hat den Vorteil, dass Entwickler die Smart Contracts nicht in eine andere Sprache umschreiben und somit keine neuen Code-Audits durchlaufen müssen. Ausserdem ist eine direkte Ausrichtung auf das bestehende Ökosystem dezentraler Apps und Nutzer möglich. Die Markteintrittsbarrieren sind in diesem Szenario deutlich geringer. Plattformen hingegen, die sich gegen diese Kompatibilitätsfunktion entscheiden, können völlig frei ihre Vision einer verbesserten Smart Contract-Plattform umsetzen, insbesondere bezüglich: Konsensprotokoll, Gebührenmechanismus und andere technische Designentscheidungen (Abbildung 4).

Inflations- und Utility-Token. Ethereum kann mit folgenden Kennzahlen weiterhin glänzen: Die Plattform mit der höchsten Marktkapitalisierung hat auch die niedrigste Inflationsrate (unter 1 %), während die Inflation von einigen Wettbewerbern noch über der von Fiatwährungen im zweistelligen Bereich liegt. Aber ist Inflation überhaupt relevant? Bei einer reinen Währungsmünze wie Bitcoin ist eine ständig sinkende Inflation bereits integriert. Demgegenüber lässt sich nur schwer abwägen, welche Inflationsrate für eine Smart Contract-Chain angemessen ist.

Eine niedrige Inflation kann den Token-Preis (in Fiat-Sprache) langfristig in die Höhe treiben, was von Anlegern angestrebt wird. Hohe Inflationsraten weisen aber vielleicht nur auf die hohe Anzahl von erstellten Tokens hin, die Nutzer und Entwickler für eine kostengünstige Ausführung von Smart Contracts benötigen. Je weniger ein “Gas”-Token als Zahlungsmittel verwendet wird, desto besser eignet er sich für die Stromversorgung von Smart Contracts und umgekehrt (auch bekannt als Utility-Token). Interessant wird zu beobachten, wie sich die unterschiedlichen Interessen zwischen Entwicklern, Nutzern und Investoren langfristig auswirken werden – vor allem auf der Ethereum-Plattform, die die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen radikal verändern wird.

Die Innovation “Ultrasound Money”

Auf dem Weg hin zu Ethereum 2.0 beeinträchtigen zwei Entwicklungen das umlaufende ETH-Angebot. Die eine beruht auf der Umstellung auf Proof-of-Stake (PoS), während die andere Entwicklung bewusst zur Änderung der Gebührendynamik angestossen wurde.

Proof-of-Stake wird von Validatoren betrieben, die Token staken (ein wenig wie beim Poker), anstatt Energie für die Schaffung des nächsten Blocks und die Sicherung des Netzwerks aufzuwenden. Fast wie beim Pokern platzieren sie einen Einsatz und wenn sie verlieren (d. h. sich nicht an die Konsensregeln halten), werden sie durch Kürzung ihres Einsatzes bestraft (“slashed”). Wie gross werden die Auswirkungen sein? Aufgrund der verschiedenen Änderungen lässt sich die künftige Geldpolitik, auch bekannt als “Tokenomics”, für Ether ohne Modellierung nur schwer antizipieren.

Beim Proof-of-Stake findet kein Mining statt. Stattdessen koordinieren spezielle Knoten, sogenannte Validatoren, die Ausführung von Transaktionen und die Erstellung von Blöcken, indem sie eine Mindestmenge an Ether sperren. Sie können diesen Einsatz verlieren, wenn sie sich böswillig verhalten und den Prozess zur Erstellung von Blöcken zu ihrem Vorteil beeinflussen. Der Schutz besteht darin, dass ihr Staking-Einsatz zur Strafe reduziert wird (slashing), und nicht etwa darin, dass Energie in die Erstellung von Blöcken investiert wird.

Wie wirkt sich Staking wirtschaftlich auf das Angebot aus? Das umlaufende Angebot wird zwangsläufig um den gestakten Betrag reduziert.

Von Dezember 2020 bis November 2021 stieg der Betrag von gestaktem Ether für Proof-of-Stake auf der Beacon Chain von ETH 656’160 auf ETH 8’391’388 (+1’280 %), wodurch ca. 7 % des gesamten umlaufenden ETH-Angebots entzogen wurde.

Die Frage der Angebotsdynamik wird weiter durch die Tatsache verkompliziert, dass die Dynamik des (“Gas”)-Gebührenmarktes in Ethereum durch die Aktivierung von EIP-1559 in der Londoner Hardfork erheblich modifiziert wurde. Vor EIP-1559 war der Gebührenmarkt eine Auktion, bei der die Nutzer für die Integration ihrer Transaktionen durch Miner ein Gebot abgaben und sämtliche Gebühren an die Miner gingen. Mit der Änderung wurde ein neuer Mechanismus zur Berechnung der Gebühren pro Transaktion und Block mit folgender Besonderheit eingeführt. Die Transaktionsgebühren umfassen nunmehr zwei Komponenten: eine obligatorische Grundgebühr und ein optionales Trinkgeld für Miner. Während das Miner-Trinkgeld weiterhin dem Miner zugeht, wird die Grundgebühr verbrannt. Seit der Aktivierung wurde das Angebot mit diesem Verfahren um insgesamt ETH 1’087’615 durch Gebührenverbrennung reduziert, was von August bis November 2021 zu einer Verringerung der Nettoausgabe um ETH 507’000 (68 %) führte.

Kombiniert haben Staking und Gebührenverbrennung einen dämpfenden Effekt auf das ETH-Angebot. Einige glauben, dass Ethereum durch diese Änderungen auf eine deflationäre Geldpolitik zusteuert, die langfristig wirkungsvoller als die Inflationseindämmung von Bitcoin sei und letztlich “Ultrasound Money” hervorbringe.

Debatte

Die lange Geschichte von Exploits im vorwiegend auf Ethereum basierenden DeFi-Bereich und der Verlust von rund USD 1,5 Mrd. in den Jahren 2020 und 2021 ist ein Beleg dafür, dass der Kryptoraum technisch sehr anspruchsvoll ist. Web3-Entwickler sind bisher nur in begrenzter Zahl am Markt und die Anzahl der IT-Experten, die kryptografische Protokolle zuverlässig analysieren können, ist verschwindend gering.

In diesem Kontext strebt Ethereum eine grundlegende Umgestaltung an, die das System auf den Kopf stellen wird. Die mit der Trennung der Konsenskomponenten und ihrer Verteilung auf mehrere Chains einhergehende Komplexität und die verbundenen Risiken sind von erheblichem Umfang. Einige Aspekte, die Sie hierbei beachten sollten:

Komplexität. Die Migration auf Ethereum 2.0 ist ein komplexes Unterfangen mit mehreren beweglichen Komponenten, die sich gleichzeitig ändern und deren Auswirkungen relativ schwierig vorherzusehen sind: Zusammenführung zu PoS, Umgestaltung von Ethereum 1 zu einem Execution Shard, komplexe Gebührenmarktdynamik, Teilung in Execution und Multiple Data Shards usw. Prognosen zu den längerfristigen Auswirkungen der kryptoökonomische Dynamik sind auch mit Simulationennur schwer möglich.

Wirtschaftlichkeit. Eine Verknappung des ETH-Angebots durch Staking kann für Anleger von Vorteil sein, ist jedoch eventuell weniger gut für die (viel grössere Anzahl von) Personen, die Smart Contracts auf Ethereum entwickeln, betreiben und nutzen möchten, da die Kryptowährung im Vergleich zum USD und anderen Fiatwährungen deutlich teurer ist. Günstiges Benzin ist gut für Autofahrer, nicht aber für Investitionen in die Ölindustrie.

Der neue Gebührenmechanismus verstärkt diesen Trend. Die deutliche Angebotsverknappung hin zur “Ultrasound Money” ist ein zweischneidiges Schwert für eine Smart Contract-Plattform, die sich ehrgeizig als Weltcomputer anstatt als Weltwährung positionieren will.

Ethereum strebt seit jeher den Status eines “Weltcomputers” an, der Smart Contracts ausführt und dezentrale Anwendungen mit Strom versorgt. Wie die jüngsten Preisentwicklungen jedoch gezeigt haben, wird in Ether auch gerne einfach als “Währung” investiert, ohne sich um Entwickler und Smart Contract-Nutzer an sich zu kümmern. Die Interessen scheinen nicht vollständig im Einklang zu sein, und man wird sehen, wie die sich verändernde Dynamik 2022 und darüber hinaus bewähren wird.

Das Verbrennen von Gebühren, die Nutzer zuerst verdienen/kaufen mussten, während Validatoren neu geschaffenes Ether als Staking-Prämien erhalten, erinnert vage an den Cantillon-Effekt in Fiatgeldsystemen: Diejenigen, die dem Gelddrucker am nächsten sind, profitieren am meisten von neu geschöpften Münzen, während diejenigen am Ende des Geldweges mit dem Wertverlust zu kämpfen haben, der bei diesem Prozess durch den Markt realisiert wird. Wichtig wird dabei sein, die sich ändernde Geldpolitik von Ethereum 2.0 nachzuverfolgen, denn sie wird bewusst flexibel gehalten.

Wettbewerb. All diese Änderungen versprechen für Ethereum eine glänzende Zukunft. Nicht angegangen wird jedoch das grösste kurzfristige Problem, das dazu führt, dass Nutzer und Entwickler auf andere Plattformen wechseln, nämlich die hohen bis sehr hohen Transaktionsgebühren für die Ausführung von Smart Contracts für DeFi, NFTs und andere boomende Märkte. Ethereum ist dabei zwar auf dem rechten Weg, könnte aber den Wettlauf mit der Zeit verlieren.

Proof-of-Stake. Proof-of-Stake gilt im Mainstream als energiesparendster Mechanismus. Hinsichtlich der eher technischen Aspekte besteht jedoch Uneinigkeit darüber, ob Proof-of-Stake genauso sicher und unveränderlich ist wie Proof-of-Work.

Hierzu wurden verschiedene Kritikpunkte geäussert. Wir empfehlen Ihnen, für tiefergehende Informationen die genannten Quellen zu konsultieren. (1) Voskuil plädiert für die Einrichtung einer externen Sicherheitsquelle ausserhalb der Blockchain. Ansonsten wäre eine Überwindung der Zensur unmöglich, sobald ein Zensor die Mehrheit der Stakes erreicht hat, da er nicht mehr abgesetzt werden kann. (2) Im “Guide to PoS”” von BitMEX aus dem Jahr 2018 wird bereits auf das Problem “Nothing at Stake” und den weitreichenden Angriff auf den Konsens hingewiesen. “Nothing at stake” bedeutet, dass ein Staker im Falle von zwei gleichzeitigen Blöcken dieselben Token für das Staking auf beiden Blöcken verwenden kann. Das erhöht die Belohnungen, ohne dass ein zusätzliches Risiko auf Kosten der Konvergenz des Netzwerks zu einem einzigen nächsten Block eingegangen wird. Mit anderen Worten: Staker können ihre Meinung leicht ändern und verschiedene (Fork-)Chains unterstützen, während Miner beim PoW aufgrund des hohen Energieverbrauchs eine Entscheidung treffen und daran festhalten müssen. Zweitens ist der weitreichende Angriff auf den Konsens problematisch, da Angreifer einen “alten” privaten Schlüssel in Besitz nehmen könnten, der zuvor über eine grosse Anzahl von Tokens verfügte. Sie können die Historie dann auf einfache Weise zu ihren Gunsten umschreiben, da nicht durch eine “Energiewand” verhindert wird, dass sie die Hauptchain einholen. Um dieses Problem durch die Festlegung regelmässiger Kontrollpunkte zu lösen, müssen die Knoten rund um die Uhr online sein oder anderen Knoten vertrauen, um bei einem erneuten Online-Gehen synchronisiert werden zu können. (3) Nguyen hat Bedenken hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit von Ethereum im Umgang mit Worst-Case-Szenarien und stellt eine Zusammenfassung der PoS-Kritikpunkte bereit, auf die wir hier nicht weiter eingehen können.

Einige Jahre nach der Proof-of-Stake-Debatte steht das abschliessende Urteil über die sicherheitsrelevanten Aspekte noch aus. In unseren Augen sind mehr Research und Debatten erforderlich, um zu einem klaren Verständnis, einer Analyse und einer Entscheidung zu gelangen. Die Krypto-Community muss sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass zwischen den beiden grössten genehmigungslosen Blockchain-Protokollen keine Einigung in einem so grundlegenden Punkt wie den Sicherheitsmodellen des zugrunde liegenden Konsensprotokolls besteht.

Conclusion

Ethereum verfolgt mit der grössten Transformation eines Blockchain-Projekts, die jemals auf den Weg gebracht wurde, ein sehr ehrgeiziges Ziel. Der Einsatz ist hoch (im wörtlichen Sinne), da Ethereum mit Abstand die umfassendste Smart Contract-Plattform im DeFi-Bereich ist, mit der grössten Anzahl an Nutzern, Entwicklern, Finanzierungen und Buy-ins. Die Umstellung auf PoS und die Trennung in dedizierte Chains/Shards ist zweifellos der ehrgeizigste Versuch, um Layer 1-Skalierbarkeit zu erreichen, und wird Ethereum im Erfolgsfall in eine höhere Liga katapultieren. Die schwindelerregende Komplexität und die von Experten geäusserten grundlegenden Bedenken werfen jedoch Zweifel an der Lebensfähigkeit des Megaprojekts auf.

Da hilft nur abwarten und beobachten. In zwölf Monaten sollten wir jedoch bereits ein viel klareres Bild davon haben, wie Ethereum sich entwickeln und welche Smart Contracts-Plattform für die Krypto-Community die erste Wahl sein wird.

Marcus Dapp

Head of Research