Trends 2020

23.03.2020

Das Wachstum der Krypto-Finanzindustrie kann in den kommenden zwölf Monaten – und darüber hinaus – auch von anderen Trends beeinflusst werden. Auch wenn sie vielleicht nicht so grundlegend sein werden wie andere Marktentwicklungen oder technische Fortschritte, rechtfertigen diese Trends sowohl für sich allein als auch als Teil der branchenweiten Bewegungen eine genauere Betrachtung.

Interoperabilität zwischen Blockchains

Ähnlich wie in den ersten Tagen des Internets ist die Landschaft der Blockchain-Protokolle und der Kryptowährungen, die auf ihnen betrieben werden, noch immer stark fragmentiert. Bitcoin und Ethereum sowie eine Handvoll weiterer Chains haben sich zu relativ stabilen Ökosystemen entwickelt – doch jede dieser Währungen bestellt ihr eigenes Gärtchen.

Dieses Problem, im Rahmen dessen die Technologie von Web3 mit denselben Herausforderungen konfrontiert war wie die von Web2, stellt eine ernsthafte Herausforderung für die weitere Akzeptanz der Blockchain-Technologie dar. Eben dieser Mangel an Interoperabilitätsstandards steht laut Gartner dem “flächendeckenden Blockchain-Einsatz in Finanzdienstleistungs-Ökosystemen” im Weg.

Es werden jedoch grosse Anstrengungen unternommen, um das Problem anzugehen. Eine der ehrgeizigeren und bekannteren Interoperabilitäts-Blockchains ist Polkadot, die vom Ethereum-Mitbegründer Dr. Gavin Wood entworfen wurde. Ähnlich wie Cosmos, ein weiteres etabliertes Projekt im Cryptospace, bewältigt Polkadot die Interoperabilität durch die Schaffung einer Multi-Chain mit mehreren sogenannten “Parachains”, die miteinander verbunden sind, sowie durch “Brücken” zur Anbindung an externe Chains.
Polkadot will mit Unterstützung der Web3 Foundation sowie einer Reihe namhafter Investoren sein Netzwerk Anfang 2020 starten.

Die brennende Frage für Polkadot und andere Interoperabilitätsketten ist, ob eine solch grundlegende Infrastruktur tatsächlich zu einer breiten Akzeptanz der Blockchain als Base-Layer-Technologie für kritische Branchen wie Finanzwesen, Gesundheitswesen und Lieferkettenmanagement führen wird. In diesen Fällen hat die Tatsache, dass die Vertraulichkeit gewahrt werden muss, private Blockchain-Implementierungen ins Rampenlicht gerückt, die mit dem breiteren “World Wide Web” von Blockchains gut oder weniger gut harmonieren. Gleichzeitig sind diese Branchen so gross (und so international), dass man sich kaum eine einzige Blockchain vorstellen kann, die die Bedürfnisse aller Stakeholder an jedem Standort und in jeder Situation erfüllen wird.

Einige haben versucht, weiter auf das Modell von Konsortien zu setzen, um einen unternehmens- oder branchenübergreifenden Konsens aufzubauen und Standards zu fördern. Die Enterprise Ethereum Alliance ist eine solche Gruppe, während Hyperledger (mit IBM als Hauptakteur) eine andere Gruppe bildet.

Dies scheint jedoch angesichts der Herausforderung, geschäftliche und operative Anreize und Ziele innerhalb einer grossen, unternehmensähnlichen Struktur aufeinander abzustimmen, nicht unbedingt ein effizienter Ansatz zu sein. Trotzdem sind bei der Bereitstellung technischer Instrumente für solche Konsortien erhebliche Fortschritte erzielt worden. Hyperledger Besu ist eine solche Implementierung.

Letztlich wird die Herausforderung, einen (fast) universellen Standard für Web3-Anwendungen und -Technologien einzuführen, wahrscheinlich eine marktorientierte Entscheidung sein, bei der diejenigen den Ausschlag geben werden, die sie am einfachsten bedienen und am besten auf ihre Bedürfnisse abstimmen können.

Im Jahr 2020 werden wir vielleicht die ersten zaghaften Entwicklungsschritte für ein breiteres, stärker vernetztes “Blockchain-Web” beobachten können – aber es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis wir ein robustes Ökosystem ohne Trennwände haben werden.

Stablecoins

Betrachtet man das Prisma der relativen Preisvolatilität von Kryptowährungen, versteht man sofort, warum Stablecoins so attraktiv sind. Die Popularität von Stablecoins hat dieses Jahr zugenommen und die Diskussion um ihre Nützlichkeit hat sich intensiviert, insbesondere seit der Ankündigung von Facebooks Libra-Projekt im Juli. Einige der führenden Institutionen Europas haben sich mit dem Thema Stablecoins beschäftigt, wobei die Europäische Zentralbank einen Bericht zu diesem Thema herausgegeben hat und die schweizerische FINMA eine Wegleitung für den Umgang mit ihnen veröffentlichte.

Generell scheinen Stablecoins kein attraktives Investment zu bieten, da ihr Wert naturgemäss an eine andere Währung oder einen anderen Vermögenswert gekoppelt ist. Sie können jedoch in dezentralen Finanzsystemen eine Rolle spielen, wobei eine der beliebtesten Stablecoins, Dai, das Ergebnis eines der fortschrittlichsten DeFi-Setups ist, die bisher entwickelt wurden. Stablecoins ermöglichen auch blockchainbasierte Anwendungen, bei denen eine gemeinsame, stabile digitale Währung für die Interaktion mit der Smart-Contract-Layer der App benötigt wird. Darum besteht Grund zur Annahme, dass der Markt für Stablecoins weiter wachsen wird.

Darüber hinaus deuten makroökonomische Kräfte auf ein grösseres Interesse an einer stabilen kryptoähnlichen Währung hin. China hat kürzlich sein Interesse an der Entwicklung einer landesweiten digitalen Währung bekanntgegeben, was manche glauben lässt, dass dies die Genehmigung des Libra-Projekts durch US-amerikanische und europäische Regulierungsbehörden fördern wird. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat in Zusammenarbeit mit der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) signalisiert, dass sie dies ebenfalls prüfen wird und sich vorstellen kann, diese in die DLT-Infrastruktur zu integrieren. Würden diese beiden Initiativen im kommenden Jahr neben anderen stark voranschreiten, könnte dies einen grossen Einfluss auf andere Kryptotrends, insbesondere auf die Tokenisierung und auf dezentrale Finanzdienstleistungen haben.

Tokenisierung

Als eines der beliebtesten Schlagworte in Verbindung mit der Blockchain-Technologie wird das Konzept der Tokenisierung häufig missverstanden.

Einfach definiert bedeutet Tokenisierung, dass die Rechte und Attribute eines Assets einem digitalen Token zugewiesen werden, der auf der Blockchain sitzt. Der Boom der ethereumbasierten Token, die 2017 in Initial Coins Offerings ausgegeben wurden, lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit auf das Konzept der Tokenisierung in unterschiedlichen Formen. Der Boom war auch Auslöser der regulatorischen Bemühungen, Token zu klassifizieren und rechtlich zu definieren. In der Schweiz unterscheidet die FINMA im Wesentlichen drei Tokentypen: Nutzungs-Token, Zahlungs-Token und Anlage-Token.

Im letzten Jahr hat sich die Aufregung um Nutzungs-Token, welche Zugriffs- oder Nutzungsrechte auf eine Anwendung oder ein Protokoll übertragen, allgemein wieder gelegt. Eine zweite Generation von Nutzungs-Token könnte jedoch in Zukunft relevanter werden: Nutzungs-Token von Unternehmen, die für Anwendungsfälle wie Treue- und Kundenempfehlungsprogramme ausgegeben werden. Ein solcher Token wird von Emaar, dem grössten Immobilien- und Immobilienentwicklungsunternehmen des Nahen Ostens, herausgegeben. Durch die Tokenisierung solcher Treue- und Empfehlungsprogramme können Friktionskosten gesenkt und der Zugang verbessert werden.

Heute konzentriert sich das Interesse an der Tokenisierung auch zu einem grossen Teil auf die Möglichkeiten von Anlage-Token, die das Teileigentum an einem Immobilienobjekt, Rechte an Investmentfonds oder eine Vielzahl anderer Möglichkeiten abbilden können. Tokenisiertes Eigenkapital für die Aktien von Klein- und Mittelbetrieben sowie tokenisierte Unternehmensanleihen sind ebenfalls ein heisses Thema.

Probleme treten jedoch auf, weil es keinen allgemein anerkannten Standard für die rechtliche Behandlung der vielen unterschiedlichen Anlage-Token gibt, die in den verschiedenen Ländern erprobt werden. Es existiert auch nur begrenzt eine Marktinfrastruktur für den Handel und die Lagerung dieser Wertpapiere, ganz zu schweigen von Dienstleistern, die rechtlich mit diesen tokenisierten Wertpapieren handeln können.

Fraglich ist auch, ob die exotischeren Anwendungsfälle für Anlage-Token wie Token für Waren, Wein und Kunst eine ausreichend starke Value Proposition bieten, um weitgehend akzeptiert zu werden.

Nichtsdestotrotz entwickelt sich die Marktinfrastruktur, die letztlich die Möglichkeiten für tokenisierte Aktien und Schulden eröffnet, weiter – wenn auch langsam und manchmal eher rumpelnd. Trotz der Einführung eines Prototyps seiner digitalen Exchange räumte SDX-Vorsitzender Zeeb kürzlich ein, dass die Entwicklung für die Banken, die das Projekt finanzieren, etwas zu früh sein könnte. Inzwischen haben Swisscom, die Deutsche Börse und drei Schweizer Banken erfolgreich ein Proof-of-Concept zur Verrechnung von Token-Aktien vorgelegt.

Diese Fortschritte geben Anlass zur Hoffnung, dass die Tokenisierung, sollte sie wirklich starten, ihren ersten Schub aus der Schweiz erhalten könnte. Fraglich ist nur, ob genügend Nachfrage seitens Investoren und denjenigen besteht, die Assets tokenisieren möchten.

Kryptozahlungen

Die Frage, ob auch Gegenstände des täglichen Gebrauchs mit Kryptowährungen bezahlt werden können, wird seit langem als Barometer für den Adoptionsumfang von Kryptoassets angesehen. Bitcoin, ursprünglich als elektronisches Bargeldsystem für Peer-to-Peer-Lösungen entworfen, sollte ein universelles Mittel bieten, mit dem für alles bezahlt werden kann.

Heute bleibt dieses Ziel bestenfalls nur teilweise erreicht. Als der der Preis von Bitcoin und anderer Kryptoassets Ende 2017 allmählich abhob, stiegen auch die Transaktionsgebühren stark an, sodass es weniger attraktiv wurde, Kryptowährungen als tägliches Zahlungsmittel zu nutzen. Die fehlende universelle Infrastruktur für die Annahme von Kryptozahlungen sowie die regulatorische Unsicherheit in einigen Ländern haben ebenfalls zur geringen Akzeptanz von Kryptozahlungen beigetragen.

Trotz dieser zaghaften Anfänge ist es wichtig, den Krypto-Zahlungsraum sowohl auf Einzelhandels- als auch auf institutioneller Ebene zu beobachten. Zahlungsdienstleister sind sich zunehmend darüber im Klaren, dass Verbraucher die Möglichkeit schätzen, auf unterschiedliche Arten zu bezahlen, was bedeutet, dass alle Optionen (so auch Kryptozahlungen) zur Verfügung gestellt werden sollten.

Worldline, Europas grösster Zahlungssystemanbieter, bestätigte dies durchdie Ankündigung einer Partnerschaft mit Bitcoin Suisse zur Integration von Kryptozahlungen in seinen Point-of-Sale-Terminals und beim Online-Shopping. Beim Libra-Projekt von Facebook konzentriert man sich darauf, grenzüberschreitende Einzelhandelszahlungen reibungslos auszuführen, ein Bereich, der sich für Kryptowährungen bestens eignet und in dem sie eine zentrale Rolle spielen sollten.

Auf institutioneller und internationaler Ebene besteht wachsendes Interesse an der Entwicklung kryptowährungsähnlicher Zahlungssysteme, wie sie beispielsweise die BRICS vorgeschlagen haben oder wie etwa die Lösung, die derzeit von der Monetary Authority of Singapore und JPMorgan für grenzüberschreitende Zahlungen und Abrechnungen geprüft wird. In diesen Fällen und anderen scheint die Prozesseffizienz im Vordergrund zu stehen, und nicht die Dezentralisierung der Finanzdienstleistungen. Ob es langfristige Vorteile gibt, bleibt abzuwarten.

Neben dem Support von Zahlungen für Waren und Dienstleistungen ist zur Verwirklichung von Satoshis ursprünglicher Vision eines elektronischen Cash-Systems auf Peer-to-Peer-Basis eine verstärkte Nutzung von Kryptowährungen (und mehr Kryptotransaktionen) noch aus einem anderen Grund von entscheidender Bedeutung. Die von den Transaktionsparteien gezahlten Transaktionsgebühren spielen durch ihre Anreize für Miner eine wichtige Rolle für die gesamte Netzwerksicherheit. Da die Bitcoin-Blockprämie weiter schrumpft, werden diese Transaktionsgebühren immer wichtiger, denn sie tragen zur Systemsicherheit bei.

Werden im Laufe des nächsten Jahres Second-Layer-Lösungen und andere technische Integrationslösungen weiterentwickelt und Kryptozahlungen in Geschäfte und Interbankensysteme integriert, so wird die steigende Akzeptanz das Ökosystem weiter stärken.

Institutionelle Kryptofinanzprodukte und Kryptodienstleistungen

Im zweiten Teil des Jahres 2017 und bis tief ins Jahr 2018 hinein haben Krypto-Marktbeobachter wiederholt vom Aufkommen von sogenanntem “institutionellen Geld” geredet. Obwohl in dieser Zeit eine Vielzahl von Krypto-Investmentfonds entstanden sind und viele Venture-Capital-Unternehmen ihren Fokus auf Krypto-Unternehmen richteten, waren ihre Zahlen nicht so signifikant wie ursprünglich gedacht und der starke Mittelzufluss von professionellen Investoren blieb aus.

Nun, fast zwei Jahre später, wäre es verfrüht, von einer anhaltenden Investitionswelle durch Institutionen zu sprechen. Mehrere Faktoren haben zu dieser Situation beigetragen:

  • Mangelnde regulatorische Klarheit in Bezug auf Kryptowährungen
  • Geringes technisches Verständnis von Blockchain und Krypto
  • Fehlen traditioneller kryptobasierter Finanzprodukte
  • Angst vor möglichen Legitimationsprüfungs- und Geldwäschebekämpfungskomplikationen

Die behördliche Zulassung und insbesondere die Befürchtungen einer Marktmanipulation waren ein wesentlicher Stolperstein für die Zulassung von Krypto-Exchange-Traded-Funds (ETFs) in den Vereinigten Staaten, wo Bitwise beispielsweise in einem Prozess versuchte, den Segen der Börsenaufsicht SEC für ihr Produkt zu gewinnen.

Es gibt jedoch weitere Anzeichen dafür, dass institutionelle Produkte und Dienstleistungen im Kommen sind. Custody-Anbieter für Kryptowährungen können den Banken und Vermögensverwaltern nun das Sicherheitsniveau bieten, das diese benötigen, um ihre Anforderungen zu erfüllen. Für eine Kryptoderivate-Handelsplattform wie die von der Intercontinental Exchange gestützte Bakkt ist dies von entscheidender Bedeutung. Die physisch abgewickelten monatlichen Bitcoin-Futures-Kontrakte von Bakkt haben trotz ihres verhaltenen Starts stetig an Beliebtheit gewonnen – ein weiteres Zeichen dafür, dass für institutionelle Kryptoprodukte nach ihrer Einführung hohes Potenzial besteht.

In der Schweiz notierte die grösste Börse, SIX, in den letzten 18 Monaten zehn börsengehandelte Produkte (ETPs) auf Kryptobasis. Gleichzeitig hat SIX selbst intensiv begonnen, eine Infrastruktur der nächsten Generation zu entwickeln, die SIX Digital Exchange, die nicht nur kryptowährungsbasierte traditionelle Finanzprodukte, sondern auch eine völlig neue Anlageklasse tokenisierter Assets traden soll.

Bis zur Masseneinführung von Krypto-ETPs und Krypto-ETFs mag es noch einige Jahre dauern, aber 2020 wird wahrscheinlich einiges an Grundlagenarbeit geleistet, sodass mehr institutionelle Gelder in den Markt fliessen dürften.

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