Real-World Blockchain – Vier Beispiele für die Zukunft von DLT

12.01.2021

Von Tom Lyons und Dr. Raffael Huber
Von Tom Lyons und Dr. Raffael Huber
Einführung – Die Blockchain wird erwachsen

Am 31. Oktober 2020 wurde die Blockchain 12 Jahre alt(1). Die immer noch junge Technologie kommt also sozusagen in die Pubertät. Und wie es bei Jugendlichen oft der Fall ist, zeichnet sich auch bei der Blockchain immer deutlicher ab, wie sie im Erwachsenenalter aussehen könnte.

Nur wenige Technologien haben so viel Überschwang und Euphorie erzeugt – sowohl rational als auch irrational – wie Blockchains. Verständlich. Eine Technologie, die ausdrücklich dazu entwickelt wurde, Vertrauen in Daten zwischen grossen Gruppen von Fremden zu schaffen, kann neue Wege für den Austausch von Werten und die Zusammenarbeit von Menschen eröffnen, ohne dass Dritte zwischengeschaltet werden müssen. Folglich scheint die Technologie wie massgeschneidert für eine Welt zu sein, in der Vertrauen zunehmend zu einem knappen Gut wird und Menschen sich der Macht grosser Intermediäre wie den riesigen Technologieplattformen(2) bewusst werden, die derzeit als Gatekeeper und primäre Profiteure der digitalen Welt agieren.

Von Finanzdienstleistungen der ersten Welt bis hin zu den Milliarden von Menschen ohne Bankkonto, von globalen Lieferketten bis hin zur medizinischer Versorgung, von der Softwareentwicklung bis hin zu Luxusgütern und digitaler Kunst, von Corporate Governance und Country Governance bis hin zum lokalen Aktivismus – seit ihren Anfängen gab es kaum Wirtschaftssektoren oder soziale Bereiche, von denen Blockchain-Befürworter nicht behauptet hätten, dass sie durch Dezentralisierung, Tokenisierung und Gruppenkonsens zum Besseren verändert werden könnten.

Heute wissen wir es besser: Die Blockchain-Technologie kann nicht alle Probleme lösen. Objektiv betrachtet hat die Technologie immer noch viele Schwachstellen, die unter anderem in den Bereichen Leistungsfähigkeit, Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit festzustellen sind. Diese Schwächen verhindern ihre breitere Akzeptanz, und zwar insbesondere im gewerblichen Bereich. Oft sind ältere Technologien hier einfach besser und dürften dies auch noch lange bleiben. Philosophisch betrachtet haben wir die Grenzen von Dezentralisierung und Transparenz erfahren. Wie sich nämlich herausstellt, sind Intermediäre oft nützlich und die Masse nicht immer klug.

In einer geeigneten Umgebung kann Blockchains jedoch eine wichtige Rolle bei der Gestaltung unserer zunehmend technologiegetriebenen Wirtschaft und Gesellschaft zukommen. Dies betrifft sowohl die Funktion der Technologie selbst als auch die der Kryptowährungen, die der erste Anwendungsfall der Blockchain waren und auch weiterhin der wichtigste bleiben dürften.

Einerseits als Modeerscheinung abgeschrieben oder als Werkzeug für Kriminelle verteufelt, andererseits als digitales Gold und einziges verlässliches Wertaufbewahrungsmittel in einem weltweit rasch auseinanderfallenden Währungssystem fast schon verehrt, wird bei Kryptowährungen häufig übersehen, welch zentrale Rolle sie in Blockchain-Protokollen spielen. Sie geben Anreize für den Betrieb des Netzwerks und sind daher ein integraler Bestandteil von dezentralen Blockchain-Plattformen. Was auch immer man von ihrem Nutzen in der realen Welt halten mag – Bitcoin, Ether und ihre nahen Verwandten werden sich langfristig etablieren und entscheidend dazu beitragen, das volle Potenzial von Blockchains auszuschöpfen.

Das vorliegende Paper soll dieses Potenzial veranschaulichen, indem vier Anwendungsfälle untersucht werden, in denen Blockchains als Technologie und Ansatz in naher bis mittelfristiger Zukunft einen grossen Einfluss haben können und werden, und zwar auf eine Weise, mit der Kapital aus den besonderen Aspekten von Blockchains geschlagen werden kann. Wir hätten hier auch auf andere Beispielfälle eingehen können. Die vorliegenden Anwendungsfälle eignen sich jedoch gut als Indikatoren, um die Vorzüge der Blockchain-Technologie und die Richtung aufzuzeigen, in die sich die Blockchain-Branche entwickeln dürfte.

“Look mom, no hands” – Blockchain für autonome Maschine-zu-Maschine-Zahlungen

Ein vielversprechender Anwendungsfall für Blockchain ist die Unterstützung von Maschine-zu-Maschine-Zahlungen (M2M) und damit die Schaffung weitläufiger und autonomer maschinenbasierter Ökosysteme.

Die Entwicklung solcher Maschinen-Ökosysteme ist um uns herum bereits in vollem Gange. Dank technologischer Fortschritte wie Smart Devices und Internet of Things (IoT), künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, Big Data, ubiquitäre Digitalisierung und globale Kommunikation gewinnen Maschinen an Komplexität und Unabhängigkeit: Sie können ihre Umgebung beurteilen, Entscheidungen treffen und eigenständig handeln. Um jedoch eine menschenfreie M2M-Wirtschaft zu schaffen, müssen Maschinen auf dem einen oder anderen Weg Vereinbarungen eingehen und wirtschaftliche Transaktionen miteinander durchführen können.

Blockchains erfüllen diese Anforderungen recht gut. Die Technologie wurde konzipiert, um standardmässig digitale Werte auf vertrauenslose Weise im offenen Internet und somit genau in der Art von Umgebung auszutauschen, in der eine Maschinenwirtschaft funktionieren würde. Eine Blockchain kann sowohl über eine Kryptowährung als auch über eine tokenisierte Version einer Fiatwährung den Zahlungsteil von Maschine-zu-Maschine-Interaktionen, darunter Mikrozahlungen, leicht handhaben. Blockchains können mit Smart Contracts dazu verwendet werden, Vereinbarungen zwischen Maschinen zu programmieren und die Prozesse rund um die Durchführung zu automatisieren.

Blockchains können auch zur Bereitstellung von Identitätsdiensten sowie zur sicheren Übertragung verifizierbarer Daten eingesetzt werden, um somit das Vertrauen unter den Maschinen zu gewährleisten. Sie können als offene Protokolle in allgemein zugänglichen Netzwerken eingesetzt werden, sodass verschiedene Maschinenmodelle von unterschiedlichen Herstellern beliebig dem Netzwerk hinzugefügt und aus ihm entfernt werden können. Die Netzwerke werden dadurch sehr flexibel, können organisch wachsen und an sich verändernde Technologien und Umgebungen angepasst werden.

Für die praktische Umsetzung von Blockchain-basierten M2M-Zahlungen müssen jedoch zwei wichtige Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens: Obwohl nichts dagegen spricht, dass Maschinen sich gegenseitig mit Kryptowährungen bezahlen, wird eine breite Akzeptanz wahrscheinlich erst eintreten, wenn tokenisierte Versionen von Fiatwährungen verfügbar sind. Bezeichnend ist, dass das Pilotprojekt der Commerzbank mit Daimler im letzten Jahr, bei dem elektrisch betriebene Transporter über eine Blockchain-basierte Plattform ohne menschliches Zutun an einer Ladestation Strom bezahlen konnten, eine tokenisierte Version des Euro verwendete. Diese wurde den Fahrzeugen als “Cash on Ledger” von der Commerzbank zur Verfügung gestellt(3).

Die zweite Voraussetzung bezieht sich auf die Möglichkeit, eine sichere, bindende und eindeutige Verbindung zwischen Maschinen und der Blockchain herzustellen. Dies ist aus dem einfachen Grund eine Herausforderung, dass ein materieller Gegenstand nicht “gehasht” werden kann, während digitale Informationen auf einer Blockchain durch einen kryptografischen “Hash” gesichert werden können.

Das in Wien ansässige Unternehmen Riddle&Code(4) beschäftigt sich mit eben dieser Herausforderung. In diesem Rahmen wurden unter anderem Blockchain-fähige Krypto-Chips entwickelt, die ähnlich wie Kreditkarten dauerhaft in eine Maschine oder ein physisches Objekt eingebettet werden können. Die Maschine erhält dadurch eine Blockchain-kompatible, einzigartige digitale Identität, die Menschen oder Dingen die Sicherheit gibt, dass die Maschine, mit der sie kommunizieren, tatsächlich das ist, was sie vorgibt.

Die Chips können jedoch noch mehr als nur eine Identität bereitstellen. Sie können über Krypto-Wallets verfügen, die Gelder und Smart Contracts enthalten können, um Maschinen dabei zu unterstützen, neben dem Datenaustausch auch Vereinbarungen einzugehen und Direktzahlungen untereinander zu leisten. In dem Chip können zudem verschiedene verifizierbare Berechtigungsnachweise gespeichert werden, wie unter anderem Qualitätszertifikate oder Belege, die zum Aufbau von Vertrauen in die Transaktionen beitragen können.

Diese Funktionen sind ab sofort verfügbar. Mit Blick auf die Zukunft erstellt Riddle&Code virtuelle Versionen seiner Sicherheits-Hardware, mittels derer Maschinen Daten speichern und Blockchain-basierte Transaktionen geschützt in der Cloud ausführen können. Im Vergleich zu direkten M2M-Interaktionen können so wesentlich grössere und diversifiziertere Maschinengruppen mit höherer Komplexität interagieren und zusammen Transaktionen tätigen. Das wiederum könnte als Grundlage für weitläufige, maschinenbasierte Biotope dienen, die auf einer Art zirkulärer Datenwirtschaft basieren – alles orchestriert durch die Blockchain.

Um sich ein Bild von der potenziellen Funktionsweise eines solchen Biotops zu machen, dient ein Industrieroboter als Beispiel, der einen für den Brückenbau geeigneten Stahlstab mit bestimmten chemischen Eigenschaften herstellt. Zusammen mit dem Stab erstellt die Maschine ein verifizierbares Zertifikat über diese Eigenschaften und die Fertigungsdaten des jeweiligen Stabs. Kaufroboter können die Herkunft des Stabs überprüfen, dafür bezahlen und soweit erforderlich auch Feedback geben. Beispielsweise können sie neue Stäbe mit leicht abweichenden Eigenschaften in Auftrag geben. Der Industrieroboter würde diesen Auftrag entgegennehmen, einen neuen Satz Stäbe nach Spezifikation herstellen und sie zusammen mit nachprüfbaren Qualitätszertifikaten ohne menschlichen Eingriff ausliefern. Die Blockchain wäre an jeder Phase dieser Wertschöpfungskette beteiligt: Sie stellt die digitale Identität bereit, ermöglicht die Automatisierung von Smart Contracts, stellt verifizierbare Anmeldedaten und Zertifikate zur Verfügung und macht den Weg frei für natürlich tokenisierte Zahlungen, mittels derer die Transaktionen umgehend abgewickelt werden können.

“Eine Maschinenökonomie ist ohne eine Datenwirtschaft undenkbar. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass geeignete Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden und Vertrauen in die Daten besteht, was wiederum nur durch Blockchains und innerhalb einer Token Economy erreicht werden kann.”

Thomas Fuerstner, Gründer und CTO, Riddle&Code

Blow your house down – Blockchain für parametrische Versicherung

Wie allgemein bekannt sein dürfte, hat sich die Versicherungsbranche der Digitalisierung lange Zeit widersetzt. Und auch heute noch stützt sich die Branche weiter auf veraltete, oft manuelle und kostspielige Verfahren, was letztlich zu überzogenen Preisen führt und die Wahlmöglichkeiten für Verbraucher einschränkt. Es überrascht daher wenig, dass die grossen etablierten Versicherungsgesellschaften durch innovative Newcomer vor ernste Herausforderungen gestellt werden, und dass die Blockchain-Technologie an diesen Marktumwälzungen aktiv beteiligt ist.

Blockchains können eingesetzt werden, um Disruptionen in vielen verschiedenen Bereichen des Versicherungswesens auszulösen. Ein vielversprechender Bereich, der auch die einzigartigen Vorzüge hervorhebt, die die Blockchain-Technologie in diesen Sektor einbringen kann, ist die parametrische Versicherung.

Bei dieser Art von Versicherung erfolgen Auszahlungen nicht auf Basis von Verlusten oder Schäden, sondern auf der Grundlage von vorab vereinbarten externen Auslösern. Im Falle einer Dürre erhält ein Landwirt beispielsweise einen vorab vereinbarten Betrag. Nach der Stornierung eines Flugs wird dem Fluggast das Flugticket ohne Formalitäten erstattet. In beiden Fällen muss der Schaden nicht belegt werden, sondern es muss lediglich auf eine zuverlässige Datenquelle wie Wetter- oder Flugaufzeichnungen verwiesen werden.

Die seit langem existierende parametrische Versicherung erhält durch die Blockchain-Technologie frischen Wind. Und das aus gutem Grund. Parametrische Versicherungspolicen sind auf vertrauenswürdige Daten angewiesen. Hängt eine Auszahlung vom Wetter an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt ab, benötigt der Versicherer mehr als nur eine zuverlässige Informationsquelle. Vielmehr muss sichergestellt sein, dass die effektiv aus dieser Quelle erhaltenen Daten nicht manipuliert wurden. Blockchains können dabei helfen, solche Zusicherungen zu geben. Da die Basisverträge von parametrischen Versicherungen tendenziell recht unkompliziert sind – tritt X ein, so zahlen Sie an Y den Betrag Z – sind sie ausserdem für die Automatisierung über Smart Contracts geeignet. Die Automatisierung geht natürlich mit verminderten Kosten, niedrigeren Prämien und zufriedeneren Kunden einher – zumindest theoretisch.

Dieses seit langem erkannte Potential wird derzeit ausgeschöpft. Bereits 2016 sorgte das Blockchain-Start-up Etherisc(5) für grosse Aufregung, als es seine Pläne für eine auf der Blockchain basierende parametrische Versicherung dApp vorstellte, die das Risiko für Passagiere aufgrund von Flugverspätungen abdeckte. Die dApp war mit den offiziellen Flugdaten von Fluggesellschaften verknüpft, die als “Oracle” dienten (so werden in der Blockchain-Welt vertrauenswürdige Datenquellen bezeichnet). Seitdem hat das Unternehmen eine vollständige Plattform für den Aufbau von Blockchain-basierten, dezentralen Versicherungsprodukten eingerichtet, darunter eine kürzlich angekündigte parametrische Ernteversicherung für Landwirte in Kenia, die Wetterdaten von dem auf Oracles für Blockchain-Plattformen spezialisierten Unternehmen Chainlink verwendet(6).

Da im Zuge der weiteren Entwicklung von IoT und Big-Data weltweit immer mehr Echtzeit-Daten verfügbar sind, vereinfacht sich die Konzeption von komplexeren Arten parametrischer Versicherungen. Laut einer Branchenquelle(7) ist beispielsweise eine parametrische Versicherung gegen Hacking denkbar, die bei Beleg einer Datenverletzung direkte Auszahlungen veranlasst. Mit Tools zur Messung von Stimmungen und Gefühlen in sozialen Medien könnte eine parametrische Versicherung gegen Reputationsschäden durch Mobbing und Trolling angeboten werden. Wir können uns auch eine Klimaschutzversicherung vorstellen, die an den Anstieg des Meeresspiegels oder der Temperaturen geknüpft ist. Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

Mit Blick auf die Zukunft wäre eine Welt vorstellbar, in der solche parametrischen Versicherungspolicen spontan und basierend darauf, wo wir uns gerade befinden oder was wir gerade tun, und oft ohne unser Zutun erworben werden könnten. Blockchain-basierte dApps könnten nach unseren Präferenzen konfiguriert werden, sodass wir automatisch eine Flugversicherung abschliessen, wenn wir eine Flugreise buchen, oder eine Gehaltsversicherung, wenn wir einen freiberuflichen Auftrag annehmen, oder sogar eine Versicherung gegen Reputationsrisiken, wenn wir Beiträge auf Facebook oder Instagram posten.

Die Blockchain könnte in der Versicherungsbranche auch eine radikale Automatisierung und Dezentralisierung in Form dezentraler autonomer Versicherungsgesellschaften (oder Insurance DAOs – mehr zu DAOs unten) anstossen. In diesem Szenario würden grössere Personengruppen zu einem Pool beitragen und sich selbst versichern, indem sie die gleiche Kombination wie die oben erwähnten parametrischen Versicherungen aus Oracles, Blockchains und Smart Contracts verwenden. Indem das Vermittlungsunternehmen ausgeschaltet und Prozesse automatisiert werden, könnten solche Versicherungsgesellschaften deutlich geringere Gewinnmargen als traditionelle Versicherungsunternehmen erzielen. Bei korrekter Ausführung kann dies die Prämien verringern und den Service verbessern.

Zudem könnten sich diese dezentralen Versicherungsprodukte langfristig zu dezentralen allgemeinen Versicherungsunternehmen von grossem Umfang entwickeln. Somit könnten wir in Zukunft alle gleichzeitig als Versicherungsnehmer und -geber fungieren. Und das alles abgestimmt von und auf der Blockchain.

Unser Geheimtipp: eine gemeinsame datenschutzkonforme Geschäftslogik

Das Vertrauen in Geschäftsprozessen mit mehreren Parteien gründet fast immer auf der Fähigkeit der Teilnehmer, sich über Informationen entlang einer Art Wertschöpfungskette zu einigen.

Bietet beispielsweise Firma A der Firma B einen Rabatt von 20 % in einem Kalendermonat auf den Kauf von 100 neuen Widget Xs, die von der Reederei Q geliefert werden müssen und deren Qualität vom Anbieter R überprüft wird, müssen alle Parteien die relevanten Informationen synchronisieren, da ansonsten die Vereinbarung nicht funktioniert.

Das ist nicht immer ganz einfach zu bewerkstelligen. Unternehmen investieren jedes Jahr Hunderte von Millionen Dollar in anspruchsvolle IT-Systeme, nur um solche Informationsflüsse über Aufträge, Vereinbarungen, Lieferungen und Zahlungen auszutauschen – ein nicht unerheblicher Teil davon wird für den Datenabgleich und die Beseitigung von unvermeidlichen Fehlern aufgewendet, die durch die fehlende Interoperabilität zwischen den vielen unterschiedlichen Systemen und Prozessen, die derzeit verwendet werden, verursacht werden.

In den Anfängen der Blockchain ging man weitgehend davon aus, dass Distributed Ledgers die Problemlösung unterstützen könnten. Durch die Vereinbarung und anschliessende Aufzeichnung von Geschäftsdaten in einer gemeinsamen Ledger, so die Überlegung, könnten die an einem gemeinsamen Geschäftsprozess beteiligten Unternehmen sicher davon ausgehen, dass allgemein Einigkeit besteht. Durch das Hinzufügen von Smart Contracts zu diesem Mix könnten Abmachungen und gemeinsame Prozesse so automatisiert werden, dass alle Parteien diese als zuverlässig ansehen könnten. Das würde die Sache noch besser machen.

Sie hat jedoch einen grossen Haken. Der Zweck einer Blockchain besteht eben darin, Transaktionen dauerhaft, unveränderlich und öffentlich zugänglich aufzuzeichnen. Daten auf einer öffentlichen Blockchain sind somit für alle auf Dauer einsehbar. Aber selbst wenn die Daten verschlüsselt auf einer Kette oder offline gespeichert und mit einem eindeutigen Identifikator – in der Regel einem kryptografischen Hash – auf einer Blockchain versehen werden, hinterlassen Daten Spuren, mit denen Informationen über den Inhalt oft überraschend detailliert nachverfolgt werden können(8). Das Gleiche gilt für Smart Contracts, die auf einer Blockchain gespeichert sind und von allen so geprüft werden können, dass auch sensible Informationen preisgegeben werden.

Unternehmen können sich eine solche unkontrollierte Transparenz jedoch nicht leisten. Strenge Datenschutzbestimmungen verpflichten sie, Informationen sicher aufzubewahren, was natürlich auch in wirtschaftlicher Hinsicht Sinn macht. Denn Firma A möchte möglicherweise nicht, dass Firma C oder jemand anderes von ihrem Rabattangebot an Firma B erfährt.

Um die Vorteile öffentlicher Blockchains in einem Geschäftsumfeld zu nutzen, stehen Unternehmen vor einem scheinbaren Paradox: Sie benötigen eine Möglichkeit, Daten zwischen ihren Systemen zu synchronisieren, ohne diese Daten effektiv offenzulegen.

Ein neuer Ansatz, der als “Baselining” bezeichnet wird, kann hierfür eine Lösung bieten. Aktuell wird dieser Ansatz als Open-Source-Projekt von einem grossen Konsortium unter dem Namen Baseline-Protokoll(9) umgesetzt. Grundlage dafür ist die Erkenntnis, dass die Blockchain nicht als gemeinsame Datenbank zur Speicherung allgemeiner Daten verwendet werden sollte. Vielmehr kann sie ein leistungsfähiges Werkzeug zur Durchsetzung von Datenkonsistenz und Workflow-Synchronisation sein, indem sie überprüfbare Beweise aufzeichnet, dass alle Parteien im Besitz der gleichen Informationen sind.. Dies ist ein subtiler, aber sehr wirkungsvoller Unterschied.

In leicht vereinfachter Form funktioniert der Ansatz wie folgt: Wenn zwei Unternehmen ein Dokument, z. B. eine Bestellung mit Liefer- und Zahlungsbedingungen, austauschen möchten, übermitteln sie sich zunächst das Dokument direkt über eine Art von Secure Messaging. Das Dokument wird dann als Baseline festgelegt, d. h. es wird eine spezielle Art von digitaler Signatur für das Dokument erstellt, die komplexe kryptografische Techniken verwendet, um sicherzustellen, dass keine Daten oder Metadaten(10) versehentlich nach aussen dringen. Jede Partei kennt nun diese Signatur und behält die Information für sich. Die Signatur der Baseline-Aufzeichnung wird dann in die Blockchain eingepflegt. In der Folge steht ein öffentlich zugänglicher, unveränderlicher Beleg dafür bereit, dass alle Parteien zu einem bestimmten Zeitpunkt das gleiche Verständnis von einer bestimmten Information hatten – die aber so gespeichert ist, dass nur die Beteiligten wissen, was diese scheinbar zufällige Signatur darstellt. Alle anderen Beobachter nehmen den Vorgang einfach als digitales Rauschen wahr.

Dieser Ansatz hat viele Vorteile. Einerseits können alle Parteien synchronisiert bleiben, ohne dass Echtdaten preisgegeben werden. Da alle Parteien zudem die eigenen internen Aufzeichnungssysteme weiter nutzen können, müssen sie nicht in teure, proprietäre Plattformen von Drittanbietern investieren oder die mit hohen Kosten verbundenen Dienste eines Intermediärs in Anspruch nehmen. Stattdessen dient das Ethereum-Mainnet als gemeinsame Infrastruktur – eine globale, öffentlich zugängliche, gegen Zensur resistente, dezentrale Plattform, auf die allgemein zugegriffen werden kann, deren Nutzung relativ günstig ist und die rund um die Uhr weltweit zur Verfügung steht.

Das noch in den Kinderschuhen steckende Baselining könnte sich bei Blockchains für Unternehmen langfristig als signifikante Entwicklung erweisen. Vor allem aber scheint durch Baselining der Kreis zwischen Transparenz und Datensicherheit und somit eine Lücke geschlossen zu werden, die Blockchains für Unternehmen bis dato behinderte. Dies ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, wie die Stärken der Blockchain-Technologie genutzt werden können. Im Baseline-Protokoll entspricht die Blockchain einem kleinen, aber wesentlichen Teil der Gleichung. Alle, die an der Entwicklung von Blockchain-Anwendungen für Unternehmen interessiert sind, sollten das Baseline-Protokoll daher im Blick behalten. Es könnte sich als fehlendes Element für eine breite Akzeptanz dieser Technologie in der Unternehmenswelt erweisen

“In der Baseline-Welt gibt es nicht eine einzige Version der Wahrheit, sondern einen gemeinsamen Bezugsrahmen. Es geht also nicht um ‘Ich habe ein Geheimnis und ich kann Ihnen dafür den Beleg erbringen’, sondern vielmehr darum, dass ‘wir alle in ein und dasselbe Geheimnis eingeweiht sind’.”
John Wolpert, Group Executive, ConsenSys

Vorsitzender des Technischen Lenkungsausschusses Baselin

“Baseline macht Unternehmen die Entscheidung, öffentliche Blockchains zu nutzen, einfach: die Privatsphäre, die ein geschlossenes Netzwerk bietet, mit der Sicherheit, den geringen Kosten und dem immensen, global skalierten und gemeinnützigen Ökosystem mit Tausenden von Knoten und fast einer Million Entwickler.”
Paul Brody, Global Blockchain Leader, EY

Bosscode – Unternehmens-DAOs

Wie wir bereits gesehen haben, kann die Blockchain zur Automatisierung von Interaktionen und Transaktionen zwischen Maschinen verwendet werden. Seit den Anfängen der Blockchain stellte sich die Frage, ob Blockchains genutzt werden können, um bestimmte Arten von Interaktionen zwischen Personengruppen zu automatisieren, zum Beispiel solche, die innerhalb eines Unternehmens stattfinden. Diesbezüglich wurde der Begriff der Dezentralen Autonomen Organisation oder DAO geprägt, der ein Unternehmen oder eine andere Art von Organisation bezeichnet, das bzw. die weitgehend – wenn nicht vollständig – per Code gesteuert wird.

DAOs bieten viele Vorteile. Der Kodierungsprozess für Governance und Verfahren einer Organisation erfordert eine detaillierte Beschreibung dieser Komponenten. Da Abläufe im Code wahrscheinlich präziser dokumentiert und weniger mehrdeutig sind als solche, die in natürlicher Sprache beschrieben werden, kann dies die Transparenz erhöhen. Der Code kann auch die Entscheidungsfindung deutlich transparenter und demokratischer gestalten, beispielsweise durch die Festlegung von Abstimmungsverfahren. Er kann zudem das Vertrauen in Geschäftsprozesse erhöhen, da es in der Regel einfacher ist vorherzusagen, was ein Programm mit den ihm erteilten Anweisungen tun wird, als was ein Mensch tun wird. Codierte Richtlinien und Prozesse sind im Übrigen leichter durchzusetzen und schwerer zu umgehen als solche, die von Menschen verwaltet werden. Fehler und Betrugsfälle können so verringert werden.

Ausserdem ermöglicht eine codierte Organisation die Automatisierung von Prozessen, was zu Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen führen und dem Personal freie Kapazitäten einräumen kann, um sich auf die schwierigeren Probleme zu konzentrieren. Last but not least ist auch der Code hinter einer DAO replizierbar. Wenn ein bestimmter DAO-Typ gut funktioniert, können Dritte ihn kopieren oder den Code für weitere Verbesserungen ändern.

Aber es gibt auch Nachteile. Einer im Code ausgedrückten Organisation fehlt es unter Umständen an Flexibilität, so dass sie sich nicht so schnell wie der Mensch an neue Bedingungen anpassen kann. Der Code kann ferner recht komplex werden, wodurch das Fehlerrisiko steigt und es allgemein schwieriger wird, nachzuvollziehen, was wirklich vor sich geht. Überdies herrscht derzeit recht grosse Rechtsunsicherheit hinsichtlich dezentraler Organisationen, und zwar insbesondere in Bezug auf Organisationen, die keinen eindeutigen Eigentümer oder festen Geschäftssitz haben. Aus diesen Gründen werden DAOs heutzutage zwar in bestimmten Umgebungen – zum Beispiel Crowdfunding über Kryptowährungen – immer beliebter, stossen aber in der Geschäftswelt noch auf zu wenig Resonanz. In Anbetracht ihres Potenzials ist das äusserst bedauerlich.

Eine Möglichkeit, die DAO-Technologie für Unternehmen attraktiver und für Startups und KMUs zugänglicher zu machen, wäre, sie modularer zu gestalten, sodass Organisationen DAOs selektiv einsetzen und den Grad der Dezentralisierung und Automatisierung “parametrisieren” können. Dies ist der Gedanke hinter LAOLand, einem Projekt von OpenLaw, das einen guten Einblick in die mögliche Entwicklung von DAOs im Allgemeinen bietet(11).

LAOLand verfügt über keine einheitliche und übergreifende DAO, sondern über eine flexible, aus DAO-Modulen bestehende Hub-and-Spoke-Architektur. Der als Kernmodul bezeichnete Hub fungiert als Rahmenvertrag, auf dem die DAO aufbaut, und dient dazu, die Mitglieder der Organisation, ihre Bankkonten, eingereichte Vorschläge, getroffene Entscheidungen und andere Informationen, die den Status der Organisation nachhaltig dokumentieren, nachzuverfolgen.

Der Hub ist von Spoke-Modulen umgeben, die als Adapter bezeichnet und für bestimmte Zwecke entwickelt werden. Eine Organisation kann über einen Finanzierungsadapter verfügen, anhand derer Einzelpersonen Finanzmittel für bestimmte Projekte anfordern können. Daneben sind auch Abstimmungsadapter, HR-Adapter und Buchhaltungsadapter denkbar – eben alles, was für die Organisation eine wichtige Strategie oder ein wichtiges Verfahren darstellt.

Mit diesem Ansatz gehen mehrere Vorteile einher. Anforderungen oder Verfahren für einen bestimmten Prozess können einfach durch Aktualisierung des Adapters geändert werden, ohne dass der Code des Kernmoduls oder eines anderen Adapters angepasst werden muss. Dies spart Zeit und Aufwand und ist zudem sicherer, da es die mögliche Einführung von Fehlern verringert. Wie Apps können auch die Adapter ausgetauscht werden, sobald bessere erhältlich sind, was etwaige Upgrades vereinfacht und auch den Weg für einen “App Store” mit DAO-Komponenten ebnen könnte.

Ein Ökosystem von serienmässigen DAO-Modulen ist eine verlockende Aussicht. Während Start-ups Cloud-Dienste wie AWS für sofort einsatzbereite IT-Infrastruktur und Googles GSuite für sofort einsatzbereite Büroinfrastruktur nutzen, würde ein LAOLand-Typ eine sofort einsatzbereite, anpassbare Organisationsinfrastruktur bieten. Dadurch könnte sich der Zeit- und Kostenaufwand für den Start von KMUs drastisch reduzieren und für grössere Unternehmen könnte dies die Einrichtung von dezentralen autonomen Setups in Geschäftsbereichen vereinfachen, wo dies sinnvoll ist. Der in der Folge tendenziell zunehmende Wettbewerb um die Modelle kann eine Entwicklung hin zu hochwertigeren Organisationsstrukturen anstossen.

“Blockchain-basierte DAOs könnten Unternehmen künftig den Austausch ihrer Governance-Strukturen erleichtern. Bei der gesunden natürlichen Auswahl, die in der Folge einsetzen könnte, würden nur die besten Governance- und Prozessmodelle überleben.”
David Roon, Mitbegründer von OpenLaw
Fazit

Nun, da die Blockchain in das zweite Jahrzehnt ihres Bestehens eintritt, hat sich der anfängliche Hype um die Technologie beruhigt. Ausserdem hat die Blockchain nun weit über die Kryptogemeinschaft hinaus Beachtung gefunden. Entwickler, Wissenschaftler, Entscheidungsträger, Führungskräfte, Produktmanager und andere in einer Vielzahl von Sektoren Beschäftigte haben heute von der Blockchain-Technologie gehört und damit begonnen, sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen.

Dank all dieser Aktivitäten wird leichter nachvollziehbar, was die Blockchain kann – und was nicht. Das ist ein gesundes und auch notwendiges Phänomen. Die Blockchain-Technologie wird zwar nicht alle Probleme der Welt lösen können, wie einige ihrer grössten Befürworter behauptet haben. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass sie ihrer Rolle als eine der wichtigsten neuen Technologien gerecht wird. Wie wir mit den Beispielen in diesem Paper hoffentlich gezeigt haben, wird dort, wo Bedarf an digitalem Vertrauen besteht, auch Bedarf an Blockchains bestehen. Und dieser Bedarf kann wahrscheinlich von keiner anderen Technologie gedeckt werden. Obgleich die Blockchain noch eine ganze Menge zu tun hat, um richtig erwachsen zu werden, sind ihre Entwicklungsperspektiven im Erwachsenenalter äusserst positiv.


1 Zählend ab der Veröffentlichung des Bitcoin White Paper an diesem Datum.

2 See Blockchain, not Bitcoin?, Dr Raffael Huber, Bitcoin Suisse Decrypt, 2 März, 2020.
3 No Humans Required: Commerzbank Develops Blockchain Payments for Automated Trucks, Coindesk, 8. August 2019
4 Dieser Abschnitt basiert auf einem Interview mit Thomas Fuerstner, Gründer und CTO von Riddle&Code. Siehe auch den hervorragenden Bericht des Unternehmens über den Automobilsektor und Blockchain.
5 Siehe www.etherisc.com
6 Etherisc teams up with Chainlink to deliver crop insurance in Kenya, Etherisc blog, 14. November 2020.
7 Trends in blockchain-based parametric insurance, International Travel and Health Insurance Journal, 3. Juni 2019.
8 Das ist nicht nur ein Problem von Blockchains. Heutzutage hinterlässt jede über das Internet versendete Datenmenge Spuren irgendeiner Art, zum Beispiel in den Metadaten, die Nachrichten begleiten und unter anderem zu deren Identifizierung und Weiterleitung verwendet werden. Dieser Nachrichten-“Auspuff” kann sehr viel über den Inhalt der Nachricht verraten, ohne dass die eigentlichen Daten verschlüsselt werden müssen.
9 Siehe baseline-protocol.org.
10 Technisch gesehen handelt es sich dabei um eine normale kryptografische Signatur mit einer zusätzlichen Art von Verschleierungsmethode, die als Zero-Knowledge-Proof bezeichnet wird, um sicherzustellen, dass keine ungewollte Datenabschöpfung stattfindet.
11 Siehe https://github.com/openlawteam/laoland. LAO steht für Legal Autonomous Organisation.

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