Kompatible Konkurrenz - Eine Bereicherung oder eine Bedrohung für Ethereum?

12.10.2021

Herausforderungen bei Ethereum

Wie mit dem Anfang August aktivierten London Upgrade von Ethereum beabsichtigt, sind die Transaktionsgebühren vorhersehbarer geworden. Die gestiegene Nachfrage nach Blockspace hat jedoch dazu geführt, dass die Transaktionsgebühren deutlich höher sind als vor dem Hard Fork. Die Transaktionsgebühren haben dazu geführt, dass viele Nutzer nicht mehr in der Lage waren, Transaktionen zu tätigen. Dies führte zu einer erheblichen Migration von Nutzern und Vermögenswerten zu alternativen Blockchains, die mit Ethereum Smart Contracts und der Ethereum Virtual Machine kompatibel sind.
Die EVM ist die Zustandsmaschine im Netzwerk der Ethereum-Clients, die für die Ausführung von Transaktionen und Smart Contracts verantwortlich ist, um den Zustand des Netzwerks für jeden neuen Block zu berechnen, der der Blockchain hinzugefügt wird.

Abbildung 1: Durchschnittliche Transaktionsgebühren auf Ethereum in Gwei
Quelle: etherscan.io, Bitcoin Suisse Research
Ein genauerer Blick auf EVM-kompatible Chains

In dieser Folge des Decrypt werden vier wichtige EVM-kompatible Blockchains näher betrachtet: Avalanche Contract Chain (C-Chain), Binance Smart Chain (BSC), Fantom Opera und Polygon.

Diese vier wurden auf der Grundlage des Total Value Locked (TVL) auf jeder Chain ausgewählt. Als ein wichtiger Anwendungsfall für Ethereum ist es nicht überraschend, dass Decentralized Finance (DeFi) auch auf anderen EVM-kompatiblen Chains Einzug gehalten hat. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die jüngsten Entwicklungen.

Abbildung 2: DeFi Total Value Locked
Quelle: defillama.com, Bitcoin Suisse Research

Die Einstiegshürde für Anwendungsentwickler, bestehende Smart Contracts auf EVM-kompatiblen Chains einzusetzen, ist niedrig, da der gleiche Programmcode direkt genutzt werden kann. Viele Entwickler-Tools und Blockchain-Infrastrukturanbieter, die Dienstleistungen für die Ethereum-Entwicklung anbieten, sind auch für die anderen EVM-kompatiblen Blockchains verfügbar. Dadurch entfällt die Notwendigkeit weiterer teurer und zeitaufwändiger Smart Contract-Audits, so dass die Chains für die rasche Bereitstellung von bestehendem Smart Contract-Code geeignet sind.

Die Avalanche Contract Chain (C-Chain) ist eine der drei in der Avalanche-Plattform integrierten Blockchains und nutzt den Snowman ConsensusAlgorithmus, um den Konsens über den Zustand des Netzwerks zu erzielen. Er wendet eine kontinuierliche Zufallsstichprobe des bevorzugten Kettenzustands anderer Nodes an, um die Präferenz des Netzwerks für den Zustand der Blockchain zu bestimmen. Der Zustand ergibt sich aus den konsistenten Mehrheitsantworten der zufällig ausgewählten Nodes, die über mehrere Abfragerunden abgefragt werden. Die beiden grössten DeFi-Projekte der C-Chain sind Aave (Kreditvergabe) und Trader Joe (Börse).

Der Proof-of-Staked-Authority (PoSA)-Mechanismus auf der Binance Smart Chain (BSC) ist eine Kombination aus delegiertem Proof-of-Stake (DPoS) und Proof-of-Authority (PoA), wobei Blöcke von einer Gruppe von 21 Validatoren abwechselnd erzeugt werden. Die Validator-Gruppe wird durch Einsätze (stakes) auf der Binance Chain, dem ersten Blockchain-Produkt der Börse, bestimmt. Die Wahl findet alle 24 Stunden statt. Die beiden grössten DeFi-Projekte auf BSC sind PancakeSwap (Börse) und Venus (Kreditvergabe).

Die Opera-Chain von Fantom verwendet den Lachesis-Konsens. Lachesis ist ein asynchroner und führerloser Konsensalgorithmus, der auf gerichteten azyklischen Graphen (DAG) basiert, einer baumartigen Abhängigkeitsstruktur für Ereignisse, mit byzantinischer Fehlertoleranz, also der Fähigkeit eines verteilten Netzwerks, trotz falscher Informationen oder böswilliger Teilnehmer einen Konsens zu erzielen. Jeder Node speichert einen lokalen DAG, der dazu verwendet wird, die Reihenfolge der Transaktionsblöcke unabhängig auf jedem Node zu berechnen. Der Konsens erzeugt Stapel von Ereignisblöcken, die dann wiederum lokal kombiniert werden, um die eigentlichen Blöcke der endgültigen Kette zu bilden. Die Validatoren stimmen nicht über Blöcke oder einen bestimmten Zustand des Netzwerks ab, sondern tauschen die von ihnen beobachteten Transaktionen und Ereignisse aus, wodurch die Anzahl der Konsensnachrichten zwischen den Validatoren reduziert wird. Die beiden grössten DeFi-Projekte von Fantom sind AnySwap und SpookySwap, beides Börsen.

Polygon ist eine auf Ethereum ausgerichtete Blockchain, die einen delegierten Proof-of-Stake-Mechanismus (dPoS) verwendet, der im Ethereum-Mainnet verwaltet wird. Validatoren werden auf der Grundlage einer Kombination aus Einsatz, Alter, verdienten Belohnungen und Abzügen bewertet, um die Validator-Gruppe zu definieren. Die beiden grössten DeFi-Projekte von Polygon sind Aave (Kreditvergabe) und Quickswap (Tausch).

Im NFT-Bereich ist Polygon die EVM-Blockchain mit dem grössten Ökosystem neben Ethereum, was durch die Einführung des NFT-Marktplatzes OpenSea auf Polygon untermauert wird, der den Nutzern die Möglichkeit bietet, NFTs mit deutlich niedrigeren Transaktionsgebühren zu prägen. In den lokalen Nachrichten hat die Schweizer Post die Einführung einer Schweizer Kryptobriefmarke angekündigt, die ebenfalls mit NFTs auf Polygon betrieben werden soll.

Ein Vergleich der vier Chains ist in der folgenden Abbildung dargestellt. Das Konsensprotokoll ist der von den Entwicklern geprägte Name für das Konsensprotokoll. Das Validierungsprotokoll beschreibt die Beweise, die die Validatoren verwenden, um einen Konsens zu erreichen. Der Governance-Token beschreibt den Token, der für die Steuerung des Protokolls verwendet wird, d. h. den Vermögenswert, der von den Validator Nodes eingesetzt wird. Der Mindesteinsatz gibt den Mindestbetrag an, der für den Betrieb eines solchen Nodes erforderlich ist, sowohl in Form des Governance-Tokens als auch in USD. Die Grösse des Validator-Sets ist eine Momentaufnahme der aktuellen Anzahl von Validatoren, während das Validatoren-Limit beschreibt, ob es eine Begrenzung der Anzahl aktiver Validatoren gibt, und wenn ja, wie hoch diese ist. Das eingesetzte Angebot gibt den Prozentsatz des Gesamtangebots an, das derzeit eingesetzt wird. Die Blockzeit beschreibt die Rate, mit der neue Blöcke von den Validatoren produziert werden.

Tabelle 1: Vergleich der Hauptmerkmale von EVM-kompatiblen Ketten (* Stand 04.10.2021)
Quelle: avax.network, Binance, Dune Analytics, Fantom Foundation, xdaichain.com, polygon.technology, ftmscan.com, bscscan.com

Einige Unterschiede zwischen den Ketten sind erwähnenswert:(1) Die Blockchains verwenden alle in irgendeiner Weise DPoS, wobei BSC eine PoA-Schicht hinzufügt. PoA ermöglicht BSC zusätzliche Skalierbarkeit, da die Validatoren abwechselnd Blöcke in einer vordefinierten Reihenfolge produzieren. (2) Die Anzahl der Validatoren ist bei den einzelnen Ketten unterschiedlich (19-1027). Während BSC und Polygon die Anzahl der Validatoren begrenzen, legen Fantom und Avalanche einen Mindesteinsatz für Validator Nodes als Eintrittsbarriere fest. Eine grössere Anzahl von Validatoren garantiert jedoch nicht automatisch einen höheren Grad an Dezentralisierung. Der Grad der Verteilung der Parteien, die die Validator Nodes kontrollieren, ist entscheidend, um geheime Absprachen zwischen den Validatoren zu verhindern. (3) Je kleiner der Anteil des Gesamtangebots ist, desto leichter wird es für neue Spieler, eine dominante Rolle zu erlangen. Das Gegenteil ist ebenfalls der Fall. Schliesslich variieren die Block-Times wenig und sind im Allgemeinen deutlich niedriger als bei Ethereum (ca. 13 Sekunden).

Blockchain-übergreifende Brücken

Die Migration von Vermögenswerten von einer EVM-Blockchain zu einer anderen ist über Brücken (bridge) möglich. Es gibt drei Arten von Brücken: zentralisierte, paarweise und Swaps.

Zentralisierte Brücken werden ausserhalb der Chain von einer vertrauenswürdigen Gegenpartei gesteuert, die anderen beiden Arten sind Smart Contracts innerhalb der Kette. Paarweise Brücken sperren einen Vermögenswert in einem Smart Contract und erstellen eine Darstellung des Vermögenswerts auf der gepaarten Kette. Dies ist jedoch auf ein bestimmtes Paar von Chains beschränkt (z. B. von Ethereum zu Polygon), was bedeutet, dass gesperrte Vermögenswerte nur entsperrt werden können, indem sie über die Brücke zurückgeschoben werden. Swaps verfolgen einen dritten Ansatz. Sie ermöglichen es dem Nutzer, Token auf einer Kette zu bezahlen, um die entsprechende Darstellung auf einer anderen zu erhalten. Anstatt Tokens zu sperren, werden Market Maker, entweder menschlich oder automatisch, als Gegenpartei für den kettenübergreifenden Swap eingesetzt.

Abbildung 3 zeigt den gesamten in paarweisen Smart Contract-Brücken von Ethereum zu den vier EVM-Ketten gespeicherten Wert (total value locked, TVL) sind. Polygon war mit seiner Veröffentlichung im Mai 2020 der Vorreiter bei der Verwendung von Brücken. Sein Ökosystem hatte Zeit, erheblich zu wachsen und einen grossen Vermögenswert anzuziehen, wie in Abbildung 2 zu sehen ist. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der TVL in Smart Contract-Brücken bei Polygon am höchsten ist. Seit der Veröffentlichung der Bridge von Ethereum im Februar hat Avalanche jedoch in dieser Metrik aufgeholt, nicht zuletzt auch aufgrund eines im August angekündigten DeFi-Anreizprogramms für Entwickler. Da Binance zentral die grösste Bridge zwischen Ethereum und BSC betreibt, ist die TVL von BSC in Abbildung 3 gering, da nur Smart Contract Bridges berücksichtigt werden.

Abbildung 3: Cross-EVM-Chain Assets locked in Ethereum Smart Contracts, Stand 06.10.2021
Quelle: etherscan.io
Weitere Ansätze

Neben der EVM-Unterstützung auf der Base-Layer-Ebene gibt es zwei weitere Ansätze für EVM-Kompatibilität und -Skalierung: einer davon ist die EVM-Unterstützung auf anderen Layer-1-Ketten (L1), der andere sind Skalierungslösungen auf Layer 2 (L2).

Aufgrund der Popularität und der Entwicklergemeinschaft rund um die EVM sind unabhängige Layer-1-Ketten ohne native EVM-Kompatibilität dazu übergegangen, EVM-kompatibel zu werden, um so einen leichteren Einstieg in ihre Blockchain-Ökosysteme zu ermöglichen. Moonriver und Moonbeam sind EVM-Parachains auf Kusama bzw. Polkadot, die mit dem Ziel entwickelt wurden, die Basisfunktionen von Ethereum zu erweitern. Neon kombiniert auf Solana die Kompatibilität mit Ethereum mit der Skalierbarkeit und Liquidität von Solana. Ethermint schliesslich, eine Ethereum-kompatible PoS-Blockchain, nutzt das Cosmos SDK und läuft auf Tendermint.

Im Vergleich zu L1-Blockchains, die von eigenen Validator Nodes betrieben werden, nutzen die L2-Ketten von Ethereum die zugrunde liegende Sicherheit des Ethereum-Mainnets als L1. Mit dem Aufkommen von L2 ist kürzlich eine weitere Dimension von EVM-Skalierbarkeitentstanden. Arbitrum und Optimism, beides Optimistic Rollups, haben bereits beträchtliche Vermögenszuflüsse angesammelt. Optimism ist zwar noch nicht mit den vollständigen EVM-Spezifikationen kompatibel, hat aber angekündigt, dass die volle Unterstützung für den EVM in einigen Wochen eingeführt werden soll. Arbitrum unterstützt seit seiner Einführung die Möglichkeit, unmodifizierte EVM-contracts auszuführen.

Fazit

Jede der oben beschriebenen EVM-kompatiblen Blockchains hat ihre eigenen Designentscheidungen und impliziten Sicherheits- und Vertrauensannahmen. Die Übertragung von Vermögenswerten von einer EVM-Blockchain zu einer anderen kann durch verschiedene Dienstleister erfolgen, die unterschiedliche Arten von Brücken mit jeweils unterschiedlichen Funktionen verwenden.

Letztendlich profitieren Ethereum und Ether von konkurrierenden Ketten, die Entwicklern und Nutzern innerhalb des Ethereum-Ökosystems Skalierbarkeit bieten. Diese Chains können als Staging-Umgebungen für Ethereum angesehen werden, die zusätzlichen Blockspace und die Möglichkeit bieten, Smart Contracts vor dem Start auf Ethereum zu “testen”. Andererseits streben einige Projekte danach, Ethereum einen Teil seines Marktanteils als bislang grösste Smart-Contract-Plattform abzunehmen.

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