Skalierbarkeit – die fehlende Komponente
20.08.2019
Die Blockchain-Technologie wird zu einem Game-Changer. Private und öffentliche Blockchains bieten ein breites Spektrum an möglichen Anwendungen und werden viele Branchen radikal verändern. Jüngste Prognosen von Gartner gehen davon aus, dass sich die Wertschöpfung durch die Blockchain-Technologie für Unternehmen im Jahr 2025 auf 176 Milliarden USD und 2030 auf über 3 Billionen USD belaufen wird. Diese beeindruckend breite Übernahme der Technologie allein durch Unternehmen erfordert, dass Blockchains pro Sekunde grosse Mengen von Transaktionen abwickeln können. Zählt man die Millionen Mobiltelefone mit integrierten Kryptowährungs-Wallets hinzu, die mit dezentralen Anwendungen (dApps) interagieren können, wird eines deutlich: Der weitverbreitete Einsatz der Technologie verlangt skalierbare Blockchains.
Aktuell haben aber vor allem dezentrale öffentliche Blockchains noch mit der Bewältigung grosser Transaktionsvolumina zu kämpfen. Ende 2017 wurde Bitcoin mit Transaktionen überflutet, nachdem der Preis gegenüber dem USD ein Allzeithoch erreicht hatte. Dies führte dazu, dass über 100’000 Transaktionen bestätigt werden mussten und hohe Gebühren von bis zu 50 USD pro Transaktion anfielen.
Händler und Investoren, die Kryptowährungen im Wert von mehreren Tausend Dollar bewegen, stören sich nicht an hohen Gebühren; sie machen aber das System für kleine Peer-to-Peer-Zahlungen unbrauchbar. In dieser Zeit war auch Ethereum von Überlastung betroffen und zwar aufgrund der neuen DApp “CryptoKitties”, mit der in Form von Tokens digitale Kätzchen gesammelt werden können. Die Tatsache, dass eine einzelne relativ erfolgreiche DApp das gesamte Netzwerk deutlich verlangsamte, hat erneut gezeigt, wie wichtig Skalierbarkeit ist, bevor die App massenweise genutzt werden kann.
Bei Ethereum reagierten die Miner auf die Blockierung des Netzwerks durch eine scheinbar endlose Menge an virtuellen Kätzchen, indem sie die Anzahl der Transaktionen, die in einen Block passen, um etwa 20% erhöhten (d. h. das Gas Limit anheben). Das entsprechende Limit in Bitcoin, die beschränkte Blockgrösse, steht seit einigen Jahren im Mittelpunkt der Kontroverse und hatte zwei Abspaltungen (Forks) zur Folge: Bitcoin Cash (BCH) und Bitcoin SV (BSV). In beiden Forks wurde die Blockgrösse stark erhöht, sodass die Netzwerke sekündlich mehr Transaktionen abwickeln konnten. Von Nachteil ist, dass dies den Preis der aktiven Knoten in die Höhe treibt. Bitcoin-Entwickler entschieden sich für die Beibehaltung der aktuellen Blockgrösse von 1 MB und planen für die Zukunft, durch Second-Layer-Lösungen eine Skalierung zu erreichen. Bei Second-Layer-Lösungen, wie zum Beispiel dem Lightning Network, werden die meisten Transaktionen ausserhalb der Blockchain (off-chain) durchgeführt. Interaktionen mit der Hauptblockchain sind selten, sodass diese entlastet wird.
Bitcoin und Ethereum verarbeiten derzeit ca. 4 tx/s (Transaktionen pro Sekunde) bzw. 8 tx/s, was jeweils ca. 350’000 und 700’000 Transaktionen pro Tag entspricht (Abbildung 1). Durch Upgrades des Bitcoin-Protokolls (wie SegWit) ist es möglich, das Limit theoretisch auf etwa 20 tx/s zu erhöhen – diese On-Chain-Kapazität liegt jedoch immer noch Grössenordnungen unterhalb derer von z. B. Visa (bis zu 56’000 tx/s). Entwickler neuartiger Distributed-Ledger-Technologien behaupten, das Skalierbarkeitsproblem durch eine Vielzahl von Protokolländerungen, wie durch verschiedene Konsensmechanismen, lösen zu können. Zum Beispiel sagt Facebook für die Einführung von Libra 1’000 tx/s zu, und delegierte Proof-of-Stake-Chains wie Cardano und EOS sollen 250 bzw. 4’000 tx/s erreichen. Bis diese Zahlen von einer grossen Benutzerbasis, die mit der Blockchain interagiert, auf den Prüfstand gestellt werden können, bleiben sie jedoch theoretisch und sollten mit Vorsicht behandelt werden.
Sollte die Skalierung on-chain oder off-chain erreicht werden?
On-Chain-Skalierung
Einer in der Bitcoin-Welt weit verbreiteten Meinung zufolge kann Bitcoin für Online-Handelstransaktionen zwischen Einzelpersonen von Nutzen sein. Werfen wir einen Blick darauf, was digitales Bargeld mit Bitcoin bedeuten würde. Online-Transaktionen umfassen hauptsächlich E-Commerce für B2B und den Einzelhandel, Peer-to-Peer-Zahlungen sowie die Überweisung von Rechnungen. Etwa 3,7 Milliarden Menschen oder die Hälfte der Weltbevölkerung werden dieses Jahr eine digitale Zahlung tätigen. Digitale Zahlungen werden 2019 einen Transaktionswert von schätzungsweise 4,18 Billionen US-Dollar aufweisen, während 2018 insgesamt etwa 38,5 Milliarden Transaktionen getätigt wurden.
Geht man von maximal sieben Transaktionen pro Sekunde für Bitcoin aus, beläuft sich die Anzahl der Transaktionen pro Jahr auf rund 31,5 Millionen. Das heisst, das Netzwerk von Bitcoin müsste rund 1’000 Mal mehr Transaktionen pro Jahr abwickeln, um die Nachfrage nach Online-Zahlungen zu befriedigen. Bei einer angenommenen Transaktionsgeschwindigkeit von 8,29 und einer jährlichen Wachstumsrate des Online-Zahlungsverkehrswerts von 12,8% würde sich der Bitcoin-Preis nach der Quantitätsgleichung von John Stuart Mill auf über 50’000 USD pro Coin belaufen. Dies bezieht sich auf den unwahrscheinlichen Fall, dass Bitcoin bis 2025 den Markt für digitale Zahlungen vollständig übernimmt.
Es ist jedoch unmöglich, dass 100% des digitalen Zahlungsverkehrs über Bitcoin abgewickelt werden. Um die Anzahl der On-Chain-Transaktionen von Bitcoin zu erhöhen, müssten wir Abstriche bei der Sicherheit von Bitcoin in Kauf nehmen. Dadurch könnte das Bitcoin-Netzwerk mehr Transaktionen pro Sekunde und zudem gegen eine unerhebliche Gebühr abwickeln. Wie bereits in der zweiten Episode von Bitcoin Suisse Decrypt erwähnt, hängt die Lösung des Doppelausgabenproblems davon ab, ob jeder Benutzer eine Kopie der Blockchain einfach speichern kann. Würden jährlich 38,5 Milliarden Online-Transaktionen in der Blockchain registriert, so wäre die Speicherung einer Kopie für den durchschnittlichen Nutzer zu teuer und das Netzwerk wäre weniger sicher.
Off-Chain-Skalierung
Einer der frühesten Bitcoin-Anwender, der mittlerweile verstorbene Hal Finney, argumentierte, dass Bitcoin sich besser als Reserve für Bankzertifikate eigne und nicht so sehr als digitales Bargeld. Seine Theorie basiert auf dem Goldstandard. Früher konnte eine Bank mit ihrem Logo Goldzertifikate ausstellen, und dann konnten Banken, die der ausstellenden Bank sowie anderen Banken vertrauten, diese Zertifikate mit diesen anderen Banken 1:1 handeln. Bank A gab beispielsweise 1’000 durch Gold abgesicherte Zertifikate aus, die direkt in Gold umgewandelt werden konnten. Die Kunden von Bank A konnten in andere Städte reisen und diese Zertifikate als gültiges Zahlungsmittel verwenden, sofern die anderen Händler und Banken das Logo der ausstellenden Bank anerkannten. Andere Banken akzeptierten freiwillig die Banknoten von Drittbanken im Verhältnis 1:1, da es ihnen ein Anliegen war, dass ihre Kunden problemlos in anderen Städten und mit Kunden anderer Banken Geschäfte tätigen konnten. Das Gleiche könnte mit Bitcoin geschehen, zumindest hypothetisch.
In diesem Fall würde Bitcoin vorwiegend von Banken gehalten; Einzelpersonen könnten Bitcoin aber auch selbst halten. Digitale Zahlungen würden wie aktuell erfolgen, ausser dass Visa, Venmo, PayPal, WeChat und andere Zahlungsabwickler Dollar, Euro und Schweizer Franken verwenden würden, die in Bitcoin konvertibel wären, anstatt in keine digitale Währung konvertiert werden zu können. Hohe Sicherheit ist beim heutigen Stand der Technik stets mit einer hohen Hashrate und entsprechend hohen Gebühren verbunden. Bitcoin eignet sich folglich nicht für Tausende von On-Chain-Transaktionen pro Sekunde. Fortschritte in der Kryptographie und im Distributed Computing könnten jedoch einen höheren Transaktionsdurchsatz ermöglichen, ohne dass Abstriche bei der Sicherheit gemacht werden müssen. In künftigen Episoden des Newsletters werden wir uns eingehender mit diesen neuen Technologien und den verschiedenen Coins beschäftigen, mit denen sie umgesetzt werden.