Stablecoins – die Eindämmung der Kryptovolatilität
17.09.2019
Am 11. September veröffentlichte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) eine Ergänzung ihrer ICO-Richtlinien zu Stablecoins. Ihre Bewertung von Stablecoins und die für sie geltenden Vorschriften wurden nach einer Anfrage der Libra Association veröffentlicht, die um eine rechtliche Einschätzung ihrer geplanten Währung Libra bat. Die FINMA ist nicht die erste Regulierungsbehörde, die Stablecoins genauer untersucht hat. Die Europäische Zentralbank veröffentlichte bereits im August einen 55-seitigen Bericht über Stablecoins, in dem verschiedene Stablecoin-Arten sowie ihre Rolle und Auswirkungen auf den Kryptomarkt bewertet wurden. Die Tatsache, dass diese besondere Klasse von Token in letzter Zeit in das Scheinwerferlicht internationaler Regulierungsbehörden geraten ist, zeigt, dass diesbezüglich grosses Interesse besteht. Was sind Stablecoins – und warum wurden sie geschaffen?
Das Ziel von Stablecoins ist die Bindung an eine staatlich ausgegebene Währung. Der überwiegende Teil ist off-chain mit der jeweiligen Fiatwährung besichert. Stablecoins ermöglichen es Kryptowährungshändlern, der Volatilität der Kryptomärkte zu entgehen. Da sie auf einer Blockchain (z. B. auf Ethereum oder auf der Omni Layer von Bitcoin) ausgegeben werden, können sie einfach und schnell zwischen Krypto-Exchanges übertragen werden. Dies ermöglicht beispielsweise eine effizientere Arbitrage der Märkte. Dadurch, dass sie on-chain sind, sind Stablecoins ausserdem für die dezentrale Finanzierung von grosser Bedeutung – Smart-Contract-Kreditplattformen wie MakerDAO oder Compound können mit Stablecoins dezentrale Kredite vergeben.
Für die Tokenisierung traditioneller Vermögenswerte wie Aktien oder Immobilien, die auf lokale Währungen lauten, ist ein On-Chain-Pendant der lokalen Währung erforderlich. Die meisten Aktionäre wollen beispielsweise ihre Dividenden in staatlich ausgegebenen Währungen ausgezahlt erhalten. Der Handel erfolgt gegen die lokale Rechnungseinheit. Stablecoins ermöglichen somit eine reibungslosere Integration in die traditionelle Finanzinfrastruktur.
“Wir müssen die Verbindung zwischen diesen Welten verbessern, indem wir die Fiatwährungen mit denselben wünschenswerten technologischen Eigenschaften, über die Kryptowährungen verfügen, ausstatten.” – Cameron Winklevoss
Die mit Abstand grösste Stablecoin ist Tether (USDT) mit einer Marktkapitalisierung von über 4 Mrd. USD. Weitere bedeutende Akteure auf dem USD-Stablecoin-Markt sind USD Coin (USDC, 430 Mio. USD), Paxos (PAX, 240 Mio. USD), TrueUSD (200 Mio. USD) und Dai (80 Mio. USD). Zusätzlich zu seinem USD-Produkt hat Tether Token ausgegeben, die an EUR (EURT, 50 Mio. EUR) oder CNY (CNHT, 20 Mio. CNY) gekoppelt sind. Der Schweizer Franken kann in tokenisierter Form auf der Ethereum-Blockchain über den CryptoFranc (XCHF, CHF 12M) genutzt werden – dieser wurde bereits bei einer Immobilientransaktion in Zug eingesetzt. Der Stablecoin-Markt wird in den kommenden Jahren voraussichtlich deutlich wachsen. Innovationen am Horizont sind beispielsweise das Libra-Projekt von Facebook – eine Währung, die durch einen Korb von Währungen und Vermögenswerten wie Staatsanleihen abgesichert werden soll. Binance hat sich kürzlich mit dem Venus-Projekt in die Stablecoin-Welt gewagt. Dabei sind die Stablecoins auf der eigenen Blockchain an lokale Währungen auf der ganzen Welt gebunden. Und nicht zuletzt hat die Chinesische Volksbank angekündigt, dass die digitale Währung der Zentralbank nun nach fünf Jahren Entwicklung praktisch “bereit” ist. Es ist daher wahrscheinlich, dass wir in den nächsten Jahren auf dem Stablecoin-Markt grosse Verschiebungen erleben werden.
Nicht alle Stablecoins sind gleich
Es gibt mehrere Messgrössen, die die Stabilität von Stablecoins erfassen. Die erste Kennzahl ist die tägliche Abweichung. Zur Berechnung der täglichen Abweichung jeder Coin vom 1,00-USD- Band nehmen wir die grössere der folgenden zwei Zahlen: Tageshoch minus 1,00 USD und 1,00 USD minus das Tagestief. Mit Blick auf 2019 gibt es klare Gewinner und Verlierer. Eine zweite Kennzahl zur Messung der Stabilität von Stablecoins ist die klassische Volatilität mittels Standardabweichung. Verwendet man historische Daten zur Messung der Volatilität, so hängt die Robustheit der Ergebnisse von der Anzahl der Beobachtungen ab. Je mehr Datenpunkte, desto besser. Wir haben den Durchschnitt der quadratischen Differenzen des Mittelwerts der täglichen Preisänderungen für jede Coin über den gesamten verfügbaren Datensatz berechnet, beginnend 2015 mit Tether. Dann haben wir die Quadratwurzel dieser Zahl genommen und die Abweichungen auf das Jahr hochgerechnet.
Die ersten beiden Standardabweichungen sollten 95,4% aller Datenpunkte erfassen. Zeichnet man die Tage auf, an denen die Preisschwankungen jeder Stablecoin innerhalb der äussersten 4,2% der Beobachtungen lagen, erkennt man leicht die schlechtesten Tage jeder Coin. So schwankte der TrueUSD zum Beispiel am 15. Mai 2018 zwischen Hoch und Tief um 36 Cent. Dies geschah zwei Stunden nach der Aufnahme in die Krypto-Exchange Binance. Viele Händler wandten sich Stablecoins zu, wodurch diese kurzzeitig über dem Dollar gehandelt wurden.
Den meisten Inhabern von Stablecoins macht es jedoch nichts aus, wenn die Anbindung nach oben abreisst. Das Problem ist, wenn sie nach unten durchbricht, was bei der grössten Stablecoin Tether oft der Fall ist. Neben Tether war Dai eine der volatilsten Stablecoins. Die Dai-Governors reagieren darauf, indem sie die Stabilitätskriterien dieses Jahr bereits mehrmals geändert haben. Wie wir bereits im letzten Decrypt erwähnten, bietet Informations-Asymmetrie den Anlegern Handelsmöglichkeiten. Der Preis jeder Stablecoin kann als Näherungswert des Risikos gesehen werden, dass diese Stablecoin die Bindung an den Dollar durchbricht. Marktteilnehmer mit Kenntnissen über die Höhe der Reserven, die jedes Unternehmen zur Deckung der Anzahl der in Umlauf befindlichen Coin hält, können Stablecoins short oder long halten. Anfang der 1990er Jahre konnte George Soros das britische Pfund verknappen und so an einem Tag eine Milliarde Dollar verdienen, da er erkannte, dass die Druckmaschinen in England schneller liefen als in Deutschland. Eine blockchainbasierte Strategie nach dem Vorbild der Aktion von Soros könnte Stablecoins in den Untergang führen, wenn die Reserven zur Deckung der Stablecoin zu gering werden.