Eine Flucht in Sicherheit

17.03.2020

Letzte Woche kam es auf den Kryptowährungsmärkten zu einem historischen Ereignis: Bitcoin und andere Kryptowährungen büssten fast 50% ihres Werts ein und verzeichneten damit dem grössten Tagesverlust seit 2013. Der Abverkauf erfolgte inmitten der Befürchtungen, die am Weltmarkt, hinsichtlich der Auswirkungen des neuartigen Coronavirus COVID-2019 auf die Volkswirtschaften weltweit bestehen. Um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, haben zahlreiche Länder entschieden, Reisen und Veranstaltungen einzuschränken. Die Aktienmärkte reagierten weltweit auf die Krise mit zweistelligen Rückgängen in den letzten Wochen.. Hinzu kam, dass infolge der zwischen Russland und der OPEC bestehenden Spannungen der Ölpreis am 9. März um 24,6% einbrach. Diese Turbulenzen gingen auch an den Kryptowährungsmärkten nicht spurlos vorüber.

Nutzung von Derivaten

Um den starken Einbruch des Bitcoin und dessen Gründe nachzuvollziehen, lohnt sich ein Blick auf die Ereignisse, die sich während des Abverkaufs an den grössten Kryptoderivat-Exchanges vollzogen haben. Die zwischen Kryptowährungen bestehenden Korrelationen nehmen bei grossen Einbrüchen in der Regel deutlich zu. Aus diesem Grund werden wir uns in dieser Episode auf die Bewegungen an den Bitcoin-Märkten konzentrieren, wobei die meisten anderen Kryptowährungen ähnliche Abverkäufe erlebten.

Ein marktbeherrschender Akteur im Derivatebereich ist die Plattform BitMEX, deren Handelsmenge sich am 12. und 13. März auf jeweils 10 Mrd. USD bzw. 8,5 Mrd. USD belief. Ihr liquidestes Produkt, ein Perpetual Swap, bildet einen Preisindex nach, der verschiedene Spotmärkte umfasst. Erreicht wird dies durch einen “Finanzierungssatz”: Wird der Perpetual Swap unterhalb des Indexkurses gehandelt, so müssen die Inhaber von Short-Positionen Inhaber von Long-Positionen auszahlen und umgekehrt. Auch Leverage-Trading mit diesem Derivat ist möglich. Ein Nutzer beispielsweise, der 1 BTC auf der Plattform besitzt, kann Positionen eröffnen, die ein Vielfaches davon betragen (in der Regel bis zu 100 BTC). Nähern sich die Verluste auf einer Handelsposition dem Konkurspunkt des Händlers an, übernimmt eine Liquidation Engine die Position und versucht, sie durch Verkäufe oder Käufe auf dem offenen Derivatemarkt zu schliessen. Das Leverage-Trading trug stark dazu bei, dass der Einbruch so abrupt erfolgte.

Abbildung 1: Der Bitcoin-Preis brach vom Höchststand (12. März) bis zur Talsohle (13. März) um 55% ein. XBTUSD Perpetual-Swap-Preise, UTC-Zeiten.
Quellen: BitMEX API, Bitcoin Suisse Research.

Krypto-Abverkauf: der zeitliche Ablauf

Eine Stunde vor Mittag (UTC) am 12. März tauchte Bitcoin ein erstes Mal von rund 7’300’000 USD auf unter 5’600’000 USD ab. Begleitet und beschleunigt wurde dies durch eine Kaskade von Liquidationen von Long-Positionen: Händler, die grosse Positionen hielten, wurden während des Einbruchs liquidiert, die Liquidation Engine übernahm ihre Position und verkaufte sie, wodurch die Preise weiter in den Keller rauschten. Dies wiederum führte zur Liquidation weiterer Händler – die “Kaskade” war in Gang gesetzt.

Über die zwei nachfolgenden Stunden (bis ca. 13 Uhr) waren die Märkte weiter damit beschäftigt, den Schock zu verarbeiten. Ein Indikator dafür war die Diskrepanz, die zwischen den Derivate-Preisen und den Spotmärkten bestand. Der Perpetual Swap wurde weit unter dem von den Spotmärkten bestimmten Indexpreis gehandelt. Langfristig werden die Märkte in der Regel von Arbitrageuren wieder ins Lot gebracht: Diese kaufen den Perpetual Swap und verkaufen Bitcoin an den Spotmärkten, was zu einer Konvergenz der beiden führt.

Nach einer Konsolidierungsphase, die bis etwa Mitternacht dauerte, rutschte der Kurs weiter nach unten und löste eine zweite Welle von Liquidationen von Long-Positionen aus. Bemerkenswert ist, dass die Liquidation Engine bei diesem zweiten Einbruch wegen der fehlenden kaufseitigen Liquidität Schwierigkeiten hatte, ihre Verkaufsaufträge zu erfüllen. Die Liquidationsaufträge blieben im System und wurden erst Stunden später um 5 Uhr vollständig abgearbeitet (d. h. gekauft). Dadurch folgte der Markt einem anhaltenden Abwärtstrend, der den Bitcoin auf ein Tief von 3’600’000 USD drückte.

Diese Tiefstände führten auf der Plattform BitMEX zu Hardwareproblemen und einer vorübergehender Abschaltung. Dadurch wurde ein Grossteil des durch Liquidationsaufträge verursachten Verkaufsdrucks vom Markt genommen. Der Ausfall von BitMEX wirkte als eine Art Volatilitätsunterbrechung, wie sie in traditionellen Märkten üblich ist und den Handel nach grossen Kurseinbrüchen stoppt. Trotz der nachfolgenden Erholungsrally auf bis ca. 6’000 USD blieb der Markt weiter angespannt: Die Geld-Brief-Spannen verharrten auf 600-700 USD und der Perpetual-Swap-Handel lag weiterhin Hunderte von Dollar unter dem Spotmarktkurs. Die Arbitrageure wurden nach ihrer anfänglich vorsichtigen Haltung langsam wieder aktiv und nahmen in den folgenden 36 Stunden eine Neujustierung der Derivat- und Spotmarktkurse vor.

Die Situation auf den Märkten: die Nachwehen

Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes ist die Liquidität an den Märkten weiterhin niedrig.

Die Geld-Brief-Spannen für einen Auftrag in Höhe von 10 Mio. USD liegen derzeit zehnmal höher als noch vor dem Abverkauf, was die geringe Liquidität an den Märkten verdeutlicht.
Quellen: skew.com, Bitcoin Suisse Research.

Dies deutet darauf hin, dass grosse Market Maker, die für Bitcoin typischerweise enge Spreads und auch für Grossaufträge Liquidität anbieten, im Hinblick auf einen vollständigen Wiedereintritt in den Markt weiterhin vorsichtig sind. Der weitverbreitete Krypto-Abverkauf hatte ein Deleveraging der Long-Seite des Marktes zur Folge, wobei sich die Liquidationen während des Einbruchs auf insgesamt mehr als 1,5 Mrd. USD beliefen.

Bislang fungiert Bitcoin in der aktuellen Liquiditätskrise, die sich auch an den Aktienmärkten widerspiegelt, nicht als “sicherer Hafen”. Stattdessen lässt sich derzeit in jedem Markt eine Flucht in Sicherheit beobachten, bei der vor allem in der Anfangsphase einer möglichen globalen Rezession meistens Cash im Mittelpunkt steht. Die Korrelationen bewegen sich während eines solchen Abverkaufs kurzfristig in Richtung 1, was sich auch bei traditionellen Anlageklassen zeigt. Selbst Gold als traditioneller sicherer Hafen hat in den letzten Tagen einen gewissen Abwärtsdruck und eine Volatilitätsschübe erfahren und ist um 7,6% eingebrochen. Während der Finanzkrise 2008 fiel der Goldpreis um etwa 30%, erholte sich aber bis zum Erreichen des S&P-500-Tiefstands auf sein vorangehendes Allzeithoch.

"Das Grundproblem mit konventioneller Währung ist das ganze Vertrauen, das nötig ist, damit es funktioniert. Marktteilnehmer müssen darauf vertrauen können, dass die Zentralbank die Währung stabil hält. Die Geschichte der Fiatwährungen ist aber voller Verstösse gegen dieses Vertrauen. Wir müssen darauf vertrauen können, dass Banken unser Geld verwahren und elektronisch übertragen. Dabei leihen sie es in Kreditblasen immer wieder und mit kaum einem Bruchteil an entsprechenden Reserven aus."

– Satoshi Nakamoto

Bitcoin ist im Grossen und Ganzen weiterhin eine im Entstehen begriffene Technologie, und in den nächsten Monaten könnte die Kryptowährung zum ersten Mal Gelegenheit haben, sich in einer globalen Rezession zu bewähren. In Satoshi Nakamotos Vision war Bitcoin eine Absicherung gegen eine unwirksame Geldpolitik und gegen Währungsabwertungen. Die im ersten, 2009 geschürften Bitcoin-Block codierten Worte lauten: “The Times 03/Jan/2009 Chancellor on brink of second bailout for banks.”

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