Blockchain, nicht Bitcoin?
02.03.2020
Ende 2017 erlebten Kryptowährungen eine Phase der Euphorie mit einer Marktkapitalisierung von insgesamt fast 1 Billion USD. Auch die zugrunde liegende Blockchain-Technologie wurde zu einem beliebten Schlagwort, das schnell Kapital anlockte. Ein Beispiel ist die “Long Island Iced Tea Corp.”, ein Getränkehersteller in den USA, der sich im Dezember 2017 in “Long Blockchain Corp.” umbenannte. In der Folge verdreifachte sich der Aktienkurs des Unternehmens innerhalb eines Tages (und führte später zu einer Vorladung durch die SEC). Über zwei Jahre später nimmt die Blockchain-Nutzung in Unternehmen weiter zu, bleibt aber weitgehend unter dem Radar. Eine aktuelle Studie von Forrester und EY hat gezeigt, dass Unternehmen immer noch überwiegend private Blockchains nutzen, während öffentliche Blockchains jedoch allmählich zulegen.
Abbildung 1: In einer kürzlich durchgeführten Umfrage zum Thema "Welche Pläne hat Ihr Unternehmen in Sachen Blockchain?" gab ein Drittel der Unternehmen an, in den nächsten zwei Jahren öffentliche Blockchains im Unternehmen implementieren zu wollen.
Marco Schurtenberger von der Tezos-Stiftung gab in unserem Crypto Outlook 2020 detaillierte Einblicke in die Chancen und Herausforderungen privater und öffentlicher Blockchains. Unternehmen, die Blockchains in ihrem Tagesgeschäft implementieren möchten, haben in der Regel zwei Bedenken: der Datenschutz und die regulatorische Unsicherheit.
In beiden Bereichen werden immer mehr Massnahmen ergriffen. Was den Datenschutz anbelangt, so ermöglichen Fortschritte in der Technologie der Zero-Knowledge-Beweise, Transaktionsdaten vertraulich zu behandeln und dennoch in einer öffentlichen Blockchain abzulegen. Auf regulatorischer Seite verbessern sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen durch die Pionierarbeit von Ländern wie der Schweiz und Liechtenstein. So hat der Bundesrat im März 2019 eine Reihe von Blockchain/DLT-bezogenen Änderungen der bestehenden Gesetzgebung verabschiedet, und Liechtenstein hat ein “Token-Container-Modell” zur Tokenisierung von Vermögenswerten entwickelt. Diese Schritte werden dazu beitragen, die regulatorische Unsicherheit zu verringern.
Hauptgrund für die Nutzung öffentlicher Blockchains statt privater Blockchains werden wirtschaftliche Erwägungen sein. Öffentliche Blockchains können im Vergleich zu privaten Blockchains Kosten sparen, da die Infrastruktur bereits errichtet und genehmigungsfrei (“permissionless”) zugänglich ist. Die einzige Voraussetzung für die Nutzung einer öffentlichen Blockchain ist ein bestimmter Betrag der nativen Blockchain-Kryptowährung, mit dem für die in den Blöcken aufgezeichneten Transaktionen bezahlt werden kann. Die Interoperabilität mit anderen Netzwerkteilnehmern, die dieselbe öffentliche Blockchain verwenden, ist automatisch gegeben.
Darüber hinaus können in öffentlichen Blockchains aufgrund der Open-Source-Struktur alle Teilnehmenden Neuerungen einbringen. Letztlich hat diese genehmigungsfreie Art der Lösungsfindung durch kluge Köpfe weltweit das Internet dorthin gebracht, wo es heute steht. Es ist noch mächtiger geworden als viele seiner Fürsprecher es noch vor 25 Jahren für möglich gehalten hätten.
Die Dots miteinander verbinden: Kryptowährungen
Die grössten Vorteile der Blockchain-Technologie ergeben sich bei der Nutzung mit einer dezentralen Struktur. Eine Blockchain ist im Wesentlichen ein unveränderliches und manipulationssicheres Hauptbuch (Ledger) für Transaktionen – nicht mehr und nicht weniger. In zentralisierten Systemen sind diese Eigenschaften schwer zu erreichen, und noch schwieriger ist es, sie gegenüber einem externen Prüfer glaubwürdig nachzuweisen. Sie weisen stets zentrale Schwachstellen (single points of failure) technischer oder menschlicher Natur auf. Dezentrale Systeme sind hingegen fehlertolerant: Der Ausfall eines Computers, eines Knotens oder eines Teilnehmers im Netzwerk hat keine Auswirkungen. Dies zeigt sich zum Beispiel an der nahezu 100%ige Verfügbarkeit, die Bitcoin und Ethereum aufweisen..
Dezentrale Systeme bringen jedoch zusätzliche Herausforderungen mit sich. Da es an einer zentralen Instanz fehlt, gibt es auch kein von vornherein festgelegtes Unternehmen, das für den Betrieb der Blockchain bezahlt. Daher muss im Protokoll ein Prozess verankert sein, der Werte von den Nutzern des Netzwerks an ihre Betreiber überträgt. Ein dezentrales Blockchain-Protokoll kann keine staatlichen Währungen drucken – hier kommen Kryptowährungen ins Spiel. Ein Protokoll kann Kryptowährungen ausschütten, um seine Betreiber wie etwa Miner (in Proof-of-Work-Blockchains wie Bitcoin) oder Validatoren (in Proof-of-Stake Blockchains wie Ethereum 2) zu bezahlen. Die Regeln für diese Ausgabe sind im Protokoll fest kodiert und sollten bei der Sicherung des Netzwerks dem Mantra “so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig” folgen. Kryptowährungen wurden deshalb als Anreizsystem gestaltet, um den Ledger unter der spieltheoretischen Annahme, dass alle Netzwerkteilnehmer in ihrem Eigeninteresse handeln, zu sichern.
"[Satoshi] behandelte kryptographische Protokolle als ökonomische Protokolle, bei denen die Wirtschaftlichkeit nicht erst im Nachhinein errechnet wird. Vielmehr sind die Anreize ein wesentliches Konstruktionselement des gesamten Systems."
Vitalik Buterin
Damit ist die Angebotsseite von Kryptowährungen skizziert. Aber woher kommt langfristig die Nachfrage? Wie oben beschrieben, müssen Personen oder Unternehmen, die öffentliche Blockchains nutzen möchten, eine gewisse Kryptowährung erwerben, um Zugang zur öffentlichen Infrastruktur zu erhalten. Die dabei zu erwartende Nachfrage hängt massgeblich vom Grad der Akzeptanz ab und schafft das Bindeglied zwischen der Nutzung der Blockchain und einem Teil ihres Wertes. Andererseits könnten Kryptowährungen auch als Wertaufbewahrungsmittel und als Teil normaler Portfolios zusätzliche Nachfrage generieren. Die Portfoliovorteile durch die Berücksichtigung nicht korrelierter Anlageklassen sind weithin bekannt und werden von einigen als “Holy Grail of Investing” bezeichnet. Bitcoin ist während der Subprime-Hypothekenkrise entstanden und bietet alternatives Geld, dessen Emission nicht von Zentralbanken, sondern per Code kontrolliert wird. Bei Inflationsraten von rund 2% hat dies heute vielleicht keine so grosse Bedeutung. Dieses Element könnte jedoch in Zukunft an Bedeutung gewinnen, wenn Regierungen beginnen, mit aggressiveren Formen der Ausweitung der gesamten Geldmenge zu experimentieren, wie etwa durch Helikoptergeld. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kryptowährungen ein wesentlicher Bestandteil dezentraler Blockchain-Protokolle sind und letztlich ein spieltheoretisch austariertes Anreizsystem für den Betrieb solcher Netzwerke bieten. Der Dezentralisierungsgrad, den solche Blockchains aufweisen, ist eng mit ihrem Leistungsversprechen verknüpft, da dies einige Schlüsselaspekte wie etwa die Immutabilität garantiert. Viele der älteren Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether haben in den letzten Jahren unter Beweis gestellt, dass sie ein spieltheoretisch stabiles Gleichgewicht gefunden haben und somit das Potenzial haben, die Infrastruktur für das “Internet des Geldes” bereitzustellen.