Marcus Dapp
Head of Research
Bitcoin ist Für Freunde Wie Feinde
02.03.2022
Regierungen auf der ganzen Welt realisieren auf geostrategischer Ebene, was Befürworter schon seit Jahren behaupten: Bitcoin ist ein staatsunabhängiges, zensurresistentes Geldsystem.
Erst vor zwei Wochen berief sich der kanadische Premierminister Justin Trudeau zum ersten Mal auf das Notstandsgesetz, um mehr als 200 Bankkonten (ca. 8 Mio. $) von Truckern einfrieren zu können, die Strassen blockierten und gegen Impfvorschriften protestierten. Daraufhin begannen die Trucker, Spenden mit Hilfe von Bitcoin zu sammeln. Trudeau hob das Notstandsgesetz mit einem Tweet auf, in dem er erklärte, dass “bestehende Gesetze und lokale Strafverfolgungsbehörden die Menschen schützen können.”
Erst vor wenigen Tagen hat das Office of Foreign Assets Control (OFAC) des US-Finanzministeriums Richtlinien herausgegeben, die es US-Bürgern verbieten, Kryptowährungen zur Begünstigung der russischen Regierung durch Vermeidung von US-Sanktionen zu verwenden. Darüber hinaus forderte die US-Regierung sowie der stellvertretende Ministerpräsident der Ukraine zentrale Kryptobörsen auf, die Verwendung digitaler Vermögenswerte zur Umgehung von Sanktionen zu verhindern. Die Reaktionen hierauf sind vielseitig: Einige kamen der Aufforderung nach, einige nur selektiv, andere lehnten sie ab. Alle unterschieden jedoch klar zwischen einem pauschalen Verbot von Adressen aus Russland und einem selektiven Verbot einzelner Konten, falls dies gerechtfertigt ist.
All dies verdeutlicht, dass die Entscheidung über die Verwendung des eigenen Geldes letztlich nicht in der Macht des Einzelnen liegt, sondern eine politische Entscheidung der Regierungen ist. Die Menschen lernen derzeit, dass diese Machtkonzentration ein Eckpfeiler des Fiat-Geldes ist, gleichzeitig aber auch, dass Kryptowährungen viel schwieriger zu kontrollieren sind. Heute ist es Russland und morgen könnte es ein anderes Land, ein Unternehmen oder eine Gruppe von Bürgern sein.
Makroökonomie: Handelsverflechtung und Inflation
Russland und die Ukraine unterhalten intensive Handelsbeziehungen untereinander und mit den grossen Blöcken in Ost und West (Abbildung 1).
Abbildung 1: Handelsanteile (Import/Export) zwischen Russland, der Ukraine und ausgewählten Blöcken. Rote Werte beziehen sich auf Russland, graue Werte auf die Ukraine. Beispiel: China macht 19,8% aller Importe in Russland aus.
Die prozentualen Werte zeigen den Anteil der Importe/Exporte von/zu einem bestimmten Land. Es zeigt sich, dass Russland und die EU sehr enge Handelsbeziehungen unterhalten, deren Anteil in beiden Richtungen über 50 % liegt. Ebenso ausgeprägt und ausgewogen sind die Beziehungen Russlands zu China. Am geringsten sind die Anteile zwischen Russland und den USA. Was die Beziehungen zwischen den beiden Nationalstaaten betrifft, so ist festzustellen, dass der Handel der Ukraine insgesamt stärker von Russland abhängig ist als andersherum. Schliesslich unterhält die Ukraine ähnliche Beziehungen zur EU, zu China und zu den USA wie Russland, allerdings mit einem ausgeprägteren Ungleichgewicht, da sie mehr importiert als exportiert, wobei sie sehr stark von der EU abhängig ist.
Welche Güter sind in diesem Handel relevant? Tabelle 1 zeigt die zehn wichtigsten Export-/Importgüter beider Länder und hebt diejenigen hervor, die entweder für die Energieversorgung, die Nahrungsmittelproduktion oder die verarbeitende Industrie von Bedeutung sind. Russland exportiert einen Grossteil seiner Erdöl- und Erdgaslieferungen in die EU, diese Abhängigkeit ist für die EU nicht einfach zu ignorieren oder zu beheben. Alle Pipelines verlaufen durch die Ukraine, was Russland vor ein Problem stellt, da Deutschland das Abkommen über die Nord-Stream-2-Gaspipeline gestoppt hat, mit der Gas durch die baltischen Staaten im Norden geleitet werden soll. Kriegsaktivitäten erfordern weiterhin mehr Energie und das Risiko von Unterbrechungen bei der Energielieferung könnte die Energiepreise mittelfristig in die Höhe treiben
Tabelle 1: Wichtigste Waren, die beide Länder exportieren/importieren
Russland liefert ausserdem 17,7 % der weltweiten Weizenproduktion. Da die Ukraine ebenfalls ein wichtiger Weizenexporteur ist, könnte ein Konflikt zwischen beiden Ländern mittelfristig zu steigenden Preisen oder sogar zu Versorgungsengpässen führen.
Darüber hinaus ist Russland einer der Atomwaffenstaaten und verfügt über das grösste Arsenal an Sprengköpfen.
Insgesamt leiden die intensiven Handelsbeziehungen direkt unter dem Konflikt, setzen aber auch Grenzen für die Höhe der Sanktionen, die andere Länder gegen Russland verhängen können. Die Energieversorgung ist insofern kritisch, als sich die gestiegenen Energiepreise in vielen Industriezweigen in höheren Produktionskosten niederschlagen werden, was die Preise in die Höhe treibt (Inflation). Den westlichen Blöcken, die bereits mit der Eindämmung der Inflationsraten zu kämpfen haben, könnte es schwer fallen, das eingeleitete Tapering durchzuziehen.
Handel, Energie, Wirtschaftssanktionen, Finanzsystem (SWIFT), natürliche Ressourcen, staatliche und nichtstaatliche Währungen, Währungen und verlockende Inflation als Waffen
Geopolitik: Wirksamkeit von Sanktionen und Währungsoptionen
Eine Strategie zur Überwindung eines Gegners in einem internationalen Konflikt besteht darin, wirtschaftlichen Schaden anzurichten. Der Ausschluss eines Landes aus dem USD-basierten SWIFT, dem internationalen Netzwerk für Finanztransaktionsinformationen, war früher eine wirksame Massnahme, da die Behinderung inländischer Banken bei internationalen Transaktionen eine schmerzhafte Blockade darstellt. Die USA, die EU, das Vereinigte Königreich und Kanada haben “wichtige sanktionierte russische Banken” von SWIFT abgekoppelt.
Welche anderen Möglichkeiten bleiben Russland, um Transaktionen ausserhalb des USD durchzuführen? Russland könnte sein eigenes System, SPFS, verwenden, das allerdings nur innerhalb des Landes funktioniert. Alternativ dazu bietet das chinesische Zahlungsnetzwerk CIPS eine viel grössere Nutzerbasis und geografische Reichweite, würde aber eine neue Abhängigkeit von China mit sich bringen.
In jedem Fall leiden beide Währungen, der russische Rubel und die ukrainische Griwna, stark unter dem militärischen Konflikt: Mit Stand vom 2. März 2022 fiel der RUBUSD innerhalb eines Monats um -32 % auf ein neues Allzeittief, während der UAHUSD um -2,5 % sank (TradingView).
Die Handelspaare für beide Währungen mit Bitcoin sind jedoch seit Beginn der Invasion deutlich angestiegen. Die russische Nachfrage nach BTC erreichte am 22. März fast 1,5 Mrd. RUB. Die Nachfrage liess auch die Preise von Bitcoin in UAH steigen.
Die Rolle von Bitcoin
Bereits vor der Invasion hatten beide Länder starke Verbindungen zu Bitcoin.
Seit das Verbot Chinas im Jahr 2021 die globale Hash-Raten-Landschaft neu gemischt hat, beherbergt Russland 11 % der Hash-Raten auf seinem Territorium. Dies könnte die plötzliche Kehrtwende der russischen Regierung nur wenige Tage vor dem Angriff erklären. Während die russische Zentralbank ein umfassendes Verbot von Kryptowährungen vorschlug, intervenierte die russische Regierung, indem das Finanzministerium neue Gesetze vorschlug, die Bitcoin als Anlageinstrument betrachten, den Kauf auf 7.700 Dollar pro Jahr begrenzen, eine vollständige Identifizierung und einen “Test” verlangen und die Selbstverwahrung verhindern würden. Insgesamt gibt dies Russland ein gewisses Mass an Kontrolle über den souveränen Bitcoin, behindert aber auch sein zukünftiges Potenzial. Dieser Aufbau gibt Anlass zu Spekulationen, dass die Regierung selbst auch Pläne für Bitcoin hat.
Die Ukraine wiederum hat eindrucksvoll bewiesen, dass ihr Platz 4 im globalen Krypto-Adoptionsindex von Chainalysis wohlverdient ist, indem sie sich an die globale Gemeinschaft wandte und um Krypto-Spenden bat und gleichzeitig Adressen zur Verfügung stellte (Tabelle 2). Bitcoin und andere Kryptowährungen scheinen das einzige Mittel zu sein, um Geld an Familien zu Hause zu schicken, ohne Einmischung, schnell und diskret.
Nebenbei bemerkt stehen die USA vor dem Dilemma Bitcoin entweder als effektives Spendeninstrument für ukrainische Familien und die Regierung zu tolerieren oder zu bekämpfen, da Russland ebenso gut in der Lage ist, ihn zu nutzen, um Sanktionen zu umgehen, die von SWIFT und dem Reservestatus des USD verhängt wurden. Die USA könnten auch darauf bedacht sein, die SWIFT-Sanktionen nicht zu weit zu treiben, weil ein erfolgreiches Russland, das auf die Anbindung an SWIFT verzichtet, einen unbeabsichtigten Präzedenzfall für andere Länder schaffen und die Rolle des USD in Zukunft untergraben könnte.
Tabelle 2: Momentaufnahme der Krypto-Spenden an offizielle ukrainische Regierungsadressen
Fazit und Ausblick
Der russische Angriff auf die Ukraine ist wohl der erste grosse internationale Konflikt zwischen zwei Nationen, in dem Bitcoin eine relevante Rolle spielt. Dabei könnte die grösste Kryptowährung ihre bisher wichtigste Bewährungsprobe erleben und die Schwächen des Fiat-Geldsystems entlarven. Wird sie den unterschiedlichen Kräften in diesem komplexen Konflikt standhalten?
Während die Bürgerinnen und Bürger sowohl der Ukraine als auch Russlands derzeit einen Grossteil ihres in ihrer nationalen Fiat-Währung “gespeicherten” Vermögens verlieren, kann Bitcoin einen Ausblick auf die Zukunft eines Landes geben, in dem viele Menschen staatlich unabhängiges Geld besitzen. Denn ohne die Möglichkeit der Schaffung von Fiatgeld wäre es schwer, die Bürger davon zu überzeugen, ihre Bitcoins zur Finanzierung eines Krieges zu geben. Diese und andere Kritikpunkte werden Thema von Teil 2 über das Fiatgeldsystem im nächsten Decrypt sein.
Der Autor dankt Dominic Weibel und Afina Inina für wertvolle Beiträge und Unterstützung.
Marcus Dapp
Head of Research