Die dezentrale Finanzrevolution bei Ethereum

16.01.2020

WICHTIGSTE ERKENNTNISSE

• Justierbare und interoperable dezentrale Finanzdienstleistungen (DeFi) werden Milliarden an bislang ungenutzten Werten bewegen. Stablecoins werden die DeFi auch in Schwellenländern zugänglich machen und die weltweite Einführung von blockchainbasierten Systemen beschleunigen. Es werden neue Smart-Contract-Zahlungsstrukturen entstehen, wie z. B. intermittierende Lizenzzahlungen oder parametrische Pay-as-you-go-Versicherungen.

Stewart Brand sagte 1984 auf einer Hacker-Konferenz: “Informationen wollen gratis sein.” Gratis gilt dabei auch für die Informationsübermittlung über geografische Distanzen und zwischen sozialen Gruppen: Das Internet macht es möglich, dass Informationen leichter um den Planeten zirkulieren. Der erste Blockchain-Anwendungsfall von Bitcoin hat gezeigt, dass Werte wie etwa Informationen nun frei über Grenzen, zwischen Datenbanken und digitalen Infrastrukturen bewegt werden können.

Ethereum macht digitales Geld hoch programmierbar, sodass verteilte Nutzer Code in Form von Smart Contracts ausführen können. Neben Spekulation und Wertanlage ermöglicht Ethereum viele Aspekte der traditionellen Finanzierung auf offenen Netzwerken mit On- und Off-Ramps, um eine grössere Interoperabilität mit Fiatwährungen, anderen Krypto-Währungen und traditionellen Anlagen zuzulassen.

Knapp über vier Jahre nach der Auflegung von Ethereum mischen auch Grossmärkte, einflussreiche Regierungen und bedeutende Banken mit: In Ethereum werden Transaktionen mit einem Gesamtwert von mehr als einer Billion Dollar abgewickelt. Vor zwei Jahren waren offene dezentrale Finanzdienstleistungen (DeFi) oder die Erstellung von Finanzinstrumenten mit offenen Blockchains praktisch noch unbekannt. In kurzer Zeit ist auf Ethereum eine Vielzahl offener, genehmigungsfreier Finanzinstrumente entstanden, oder besser gesagt: Ihre Anzahl ist förmlich explodiert. Diese Plattformen verbessern den Zugang zum bestehenden Finanzsystem durch offene Protokolle und transparente Daten.

Die DeFi sind mittlerweile in alle wichtigen Bereiche der globalen Finanzinfrastruktur vorgedrungen, vom Zahlungsverkehr und Einzelhandel über Banken und Kredite bis hin zu Kapitalmärkten, Anlageverwaltung, Versicherungen und Vermögenstokenisierung. Heute sind knapp 700 Millionen USD im DeFi-Ökosystem angelegt oder gestakt, wodurch über 50 Millionen USD an Prämien generiert wurden. Allein im 2. Quartal 2019 stieg die Zahl neuer Adressen um 1’589%.

Ein besonders spannender Bereich des DeFi-Wachstums im Jahr 2019 war der Bereich Stablecoins. Im Vorjahr wurden die Libra von Facebook und die JPMorgan Coin angekündigt, während grosse Projekte wie Tether und Dai sich dynamischer entwickelten. Deren Marktkapitalisierung liegt derzeit zusammengenommen bei über 5 Mrd. USD, mehr als doppelt so viel wie vor einem Jahr. Die Stablecoin Signet von der Signature Bank und die Stablecoin von Wells Fargo waren 2019 ebenso wie der Gemini-Dollar und USDC von Coinbase bei den Usern sehr beliebt. Der Transaktionszuwachs allein ethereumbasierter Stablecoins war im Quartalsvergleich grösser als derjenige bei Venmo von PayPal.

Dank der grossen Vielfalt an Stablecoins auf Ethereum dient das Netzwerk zunehmend als Fiat-Zahlungsplattform, wie Omid Malekan kürzlich in einem Artikel mit dem Titel “The Speculative Case for $ 1000 ETH” schrieb. Ein User kann aus mehreren Protokolloptionen wählen, von denen keine mehr als ein paar Cent Gebühren berechnet, im Gegensatz zu praktisch jeder älteren Zahlungsoption, die Einzelhändler mehrere Prozentpunkte ihres Umsatzes kosten kann. Bedenkt man, dass die kombinierte Marktkapitalisierung älterer Zahlungsdienstleister heute mehr als eine Billion Dollar beträgt, kann man sich leicht vorstellen, dass ethereumbasierte Optionen, die die Zahlungen einfacher und günstiger machen, eine beträchtliche Dynamik entfalten könnten.

Eine der grossartigen Eigenschaften von Ethereum und damit ein Hauptmerkmal und Vorteil der DeFi ist die Composability: Ein User verfügt vielleicht über ein Bankkonto, ein Sparkonto und ein anderes Konto, um Aktien, Anleihen oder Derivate zu halten. Klüger wäre es jedoch, wenn diese zusammenarbeiten oder Werte zwischen ihnen bewegt werden können. Nunmehr können diese Positionen miteinander interagieren und sogar mit interoperablen Smart Contracts und DeFi-Dashboards auf Ethereum zu Verbundstrukturen oder Mittelflüssen konfiguriert werden. Durch das Hinzufügen einer neuen Anwendung zum Weltcomputer Ethereum steht diese Anwendung auch vielen anderen Anwendungen auf der Plattform zur Verfügung und kann mit diesen interagieren. Hosts von Financial Primitives können wie Legosteine miteinander kombiniert und schnell, kostengünstig und weltweit eingesetzt werden. Mit den Codefi-Angeboten von ConsenSys und OpenLaw sinken die Grenzkosten für die Erstellung und den Vertrieb eines neuen Finanzinstruments auf null.

Ein kreativer und furchtloser DeFi-Erkunder (ein “Definaut”?) könnte eine Stablecoin-Zahlung erhalten, sie in Ethereum umwandeln und einen Teil des Betrags zur Finanzierung einer von Maker besicherten Schuldenposition (CDP) verwenden, sodass man den langfristigen Vorteil des Wachstums auf Ethereum hat und gleichzeitig das Geld nutzen kann. Der neugierige Erkunder könnte einen weiteren Teil des Betrags auf eine Exchange platzieren, um eine andere Coin zu kaufen, diese an Compound zu senden und Zinsen darauf zu erhalten, sich diese Zinsen auszahlen zu lassen, um eine weitere Coin an einer anderen Exchange zu kaufen und sie in einen tokenisierten Asset oder in eine risikofreie Lotterie wie PoolTogether anzulegen, und bei alledem kaum Gebühren zu zahlen. Dies stellt eine beeindruckende Umwälzung gegenüber bestehenden Zahlungskanälen dar, mit deutlich kürzeren Zeitintervallen, und vielleicht auch mit grenzüberschreitenden Transaktionen. Werte lassen sich nun ebenso frei (einfach und günstig) wie Informationen bewegen.

Stablecoins bieten Schwellenländern einen Einstieg in das DeFi-Ökosystem und die Teilnahme an einer Vielzahl zuvor unzugänglicher Finanzanwendungen. Reduzierte grenzüberschreitende Friktion und geringere Volatilität als lokale Fiatwährungen machen Stablecoins in diesen Märkten besonders attraktiv. Im vergangenen Jahr wurden in einer ConsenSys-Partnerschaft mit Oxfam Dai verwendet, um humanitäre Hilfsgutscheine im südpazifischen Inselstaat Vanuatu zu verteilen, wo es oft zu Naturkatastrophen kommt. Das Programm setzte auf einen Gutschein-Token, in dem ein Dai-Token eingepackt war, der nur von geprüften Mitgliedern von der Whitelist des Programms ausgepackt und eingelöst werden konnte. Diese Massnahme zur Geldwäschebekämpfung machte sich auch die Sicherheit und gesetzliche Konformität des Mainnets zunutze.

Auch entwickelte Märkte könnten bald zunehmend auf preisstabile Währungen zugreifen, da die weltweit wichtigsten Währungssysteme vor grossen Herausforderungen stehen. Die Renditekurven sind bereits eingeknickt, und die globalen Zentralbanken fahren seit längerem quantitative Lockerungsprogramme. Auf diese Weise wird versucht, die nationalen und globalen Volkswirtschaften anzukurbeln. Eine noch stärkere quantitative Lockerung wird letztendlich aber zu einem Vertrauensverlust in die zentralisierten Fiatwährungen führen. Verschiedene Konfigurationen mit preisstabilen blockchainbasierten Währungen, die an staatliche Währungen oder andere Instrumente gekoppelt sind, könnten sich als vielversprechendes neues Modell erweisen.

Die Ländern freunden sich zunehmend mit dem Gedanken an, ihre eigenen digitalen Münzen zu prägen, die wertmässig an einen Fiat-Asset gebunden sind, um Transaktionsgebühren zu senken und die Transaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen. Die Britischen Jungferninseln haben kürzlich die Entwicklung einer digitalen Währung angekündigt, die 1:1 an den US-Dollar gekoppelt ist. Damit wollen sie ebendies erreichen, nämlich die Transaktionsgebühren zu verringern und die Transaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen. Die Zentralbank Frankreichs wird in Kürze mit der Prüfung einer digitalen Zentralbankwährung (CBDC) beginnen, während die Volksbank Chinas und die Marshallinseln im nächsten Jahr ebenfalls Pläne für digitale Währungen vorstellen wollen.

Weitere Zahlungsinnovationen werden wir im kommenden Jahr sehen. Apples jüngstes Vordringen ins Mobile Payment, Apple Pay, und Facebooks Einführung von Facebook Pay zur Unterstützung von In-App-Zahlungen auf WhatsApp, Instagram und Facebook sind Teil eines breiteren Trends hin zu Mainstream-Komfort bei mobilen Bezahlsystemen, ganz zu schweigen von den extrem beliebten Plattformen wie AliPay und WeChat Pay in Asien. Mobile Zahlungen über Apple Pay und Dienste wie Venmo und die Venmo-Karte machen die Verbraucher bereits jetzt mit der Idee vertraut, Geld auf ihrem Mobiltelefon verfügbar zu haben, und werden als On-Ramp für den Download einer mobilen Wallet dienen. Konsumenten und Unternehmen werden allmählich realisieren, dass Geldübermittlung so einfach sein kann und sein sollte wie das Senden einer Textnachricht. Der Cashflow ist für kleine Unternehmen derart wichtig, dass sie die Abwicklungszeiten unbedingt verkürzen wollen, und digitale Währungen werden hier eine Lösung bieten. Die Abwicklung von Gironetz-Zahlungen dauert Tage, wohingegen blockchainbasierte Zahlungen praktisch umgehend verbucht werden. Diese Zahlungen können innert weniger Minuten in einem hochgradig dezentralen und sicheren Netzwerk wie Ethereum oder (etwas langsamer) im Bitcoin-Netzwerk abgewickelt werden.

Blockchainbasierte Zahlungen bieten Einzelhändlern eine genauere Kontrolle darüber, wie sie ihr Geld einsetzen wollen. Wohingegen bei einer Kreditkarte stillschweigend angenommen wird, dass der Händler Ihnen bei einem wiederkehrenden Dienst nicht mehr in Rechnung stellt, als Sie ursprünglich gebucht haben. Sie vertrauen also dem Händler die eigene Kreditkarte an, anstatt ihm nur den Einzug dieses Geldbetrags zu erlauben. Mit einem Smart Contract hat der Käufer jedoch die volle Sicherheit, dass die Zahlung den genehmigten Betrag niemals übersteigt, und er kann sein Abonnement jederzeit kündigen. Blockchainbasierte Zahlungsplattformen wie Daisy von ConsenSys Codefi ermöglichen es jedem User, wiederkehrende Zahlungen zu akzeptieren, ohne Kreditkartengebühren zu zahlen oder den Kunden zu verpflichten, den Händlern ihre Kreditkartendaten anzuvertrauen.

Dank neuer Zahlungsstrukturen wie staatliche Kanäle, über die die Parteien direkt offline interagieren und einander auszahlen können, sobald sie im Mainnet bereit sind, können Händler im Handumdrehen Mikrotransaktionen von Cent-Bruchteilen verarbeiten. Es werden weitere Zahlungsstrukturen entstehen, die sich bestens für Smart-Contract-Zahlungen eignen. Darunter fallen beispielsweise regelmässige Abogebühren, periodische Lizenzzahlungen (für Musik oder andere Inhalte) oder wenn ein Autoversicherer eine parametrisierte Versicherung anbietet, die für jede Sekunde hinter dem Steuer eines versicherten Fahrzeug Centbruchteile berechnet und den Satz dabei an die Tageszeit und die Region anpasst.

All dies geschieht auf der Ethereum-Blockchain. Diese Innovationsbereiche, kombiniert mit einer zunehmenden Dynamik bei den Unternehmensanwendungen von Ethereum, der Tokenisierung von Vermögenswerten und der Software, die in diesen neuen Subsystemen enthalten ist, werden mit zunehmender Reife beginnen, sich zu verbinden und den Nährboden für die neue globale digitale Wirtschaft zu bilden – und sie werden sich gegenseitig verstärken.

Die Weltwirtschaft braucht einen objektiven, vertrauenswürdigen Bezugsrahmen, um die Logik und die Transaktionen zwischen den Geschäftsnetzwerken zu koordinieren. Einen solchen Bezugsrahmen kann das Ethereum-Mainnet bilden, das für die Abwicklung digitaler Assets als globale Layer im Internet der Zukunft fungieren wird. Um maximal sicher zu sein, muss dieses Mainnet auch in seiner Architektur maximal dezentralisiert sein. Sofern das Ziel darin besteht, ein sichereres, zuverlässigeres und interoperableres globales Finanzsystem zu entwickeln oder wieder aufzubauen, ist es suboptimal, es auf zentralisierten, offenen Plattformen zu errichten, die der Zensur, einzelnen Kontroll- und Schwachstellen und anderen Arten potenziell unzulässiger Manipulation unterliegen.

Ausser und neben der maximal dezentralen Vertrauensbasis und der globalen Bezahlschicht des Ethereum-Mainnet wird die Zukunft der dezentralen Protokolltechnologie viele funktionale Elementen umfassen: für vertrauensbasierte Transaktionen, automatisierte Vereinbarungen, intelligente Softwareobjekte, Speicher, Bandbreite, Heavy Computing, Identitäten, Reputation, Standortnachweise, rechtlich durchsetzbare Vereinbarungen, Zertifikate, Aktien- und Immobilientokenisierungen und einfacheres Bruchteilseigentum, finanzielle Inklusion, Clearing und Abwicklung im Moment der Transaktion und vieles mehr.

Zahlreiche Aspekte unserer globalen Finanzinfrastruktur basieren auf veralteten Softwareplattformen und anfälligen Datenbankarchitekturen. Sie nutzen veraltete und schwerfällige grenzüberschreitende Abrechnungssysteme und sind kaum wirklich interoperabel. Finanzinstitute fungieren notwendigerweise als Abstimmungsinstanzen, die Missverständnisse und unterbrochene Transaktionen zwischen disparaten Datensätzen beheben, in denen jeweils nur ein Bruchteil der Informationen über eine Transaktion enthalten ist. Wenn alles rund läuft, können Finanzinstitute ihren Firmen- und Privatkunden Finanzdienstleistungen anbieten. Der gegenteilige Fall könnte aber ebenfalls eintreten. Die Blockchain-Finanzinfrastruktur wird diesen Instituten ermöglichen, auf einer neuen Vertrauensbasis miteinander zu interagieren, die die einzige verlässliche Informationsquelle (‘Source of Truth”) für sie darstellt. Billionen Dollar an verschwendeten oder ungenutzten Werten warten darauf, durch dieses neue Finanzierungsinstrument auf der Grundlage dezentraler Protokolle freigesetzt zu werden.

Blockchain verfügt 2020 jedoch über ein Potenzial, das weit über den Bereich dezentrale Finanzdienstleistungen und Zahlungsdienste hinausgeht: Dieses besteht in der Automatisierung des Vertrauens zur verbesserten Zusammenarbeit und darin, dass trotz digitaler Knappheit digitale Assets geschaffen werden können. Es geht um die Konvergenz von Plattformen, die Reduktion ineffizienter Abläufe, eine schnellere und bessere Geschäftsabwicklung als je zuvor und gleichzeitig eine gesündere wirtschaftliche Dynamik. Ich bin überzeugt davon, dass 2020 ein aufregendes und wahrscheinlich prägendes Jahr für unser Ökosystem sein wird.

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